Die Eisprinzessin schläft
Seite und legte ihre rechte Wange auf die Hände.
Heute erschien ihr alles heller. Der Mord an Alex, das Buch, auf das ihr Verleger ungeduldig wartete und für das sie den richtigen Rhythmus nicht finden konnte, die Trauer über den Tod von Vater und Mutter und nicht zuletzt der Verkauf ihres Elternhauses, alles schien sich heute leichter ertragen zu lassen. Die Probleme waren nicht verschwunden, aber Erica war zum erstenmal wirklich überzeugt, daß ihre Welt nicht aus den Angeln kippte und daß sie alle Schwierigkeiten, die sich ihr in den Weg stellten, bewältigen würde.
Was für einen Unterschied ein Tag, nur ganze vierundzwanzig Stunden, doch ausmachen konnte. Gestern um diese Zeit war sie mit einer schweren Last auf der Brust aufgewacht. War aufgewacht in einer Einsamkeit, über die sie nicht hinwegschauen konnte. Jetzt war ihr, als würde sie noch immer Patriks Zärtlichkeiten auf der Haut spüren. Körperlich spüren, obwohl sie eigentlich weit darüber hinaus wirkten.
Sie empfand mit ihrem ganzen Wesen, daß die Einsamkeit durch Zweisamkeit ersetzt war, und die Stille im Schlafzimmer war jetzt voller Frieden, obwohl sie ihr früher bedrohlich und unendlich erschienen war. Zwar vermißte sie Patrik bereits, trotzdem lag sie sicher in der Gewißheit, daß er, wo er sich auch aufhielt, in Gedanken bei ihr war.
Erica hatte das Gefühl, als nähme sie einen Besen und fege resolut alle Spinnweben und allen Staub aus den Ecken, die sich in ihrem Gemüt angesammelt hatten. Doch die neue Klarheit machte ihr auch bewußt, daß sie nicht länger vor dem fliehen konnte, was ihre Gedanken die letzten Tage beschäftigt hatte.
Seit die Wahrheit darüber, wer der Vater von Alex’ Kind war, wie mit Feuerschrift vor ihr am Himmel stand, war sie vor der Konfrontation zurückgeschreckt. Noch immer hatte sie ein ungutes Gefühl dabei, aber eine neue Kraft ermöglichte es ihr, die Sache in Angriff zu nehmen, statt sie, wie gewöhnlich, weiter vor sich her zu schieben. Sie wußte, was sie zu tun hatte.
Sie duschte lange in kochend heißem Wasser. Alles an diesem Morgen fühlte sich wie ein neuer Anfang an, und sie wollte ihm blitzsauber begegnen. Nach der Dusche und einem Blick auf das Thermometer zog sie sich warm an und betete darum, daß sie das Auto in Gang brachte. Sie hatte Glück. Es startete beim ersten Versuch.
Während der Fahrt überlegte Erica, wie sie das Thema zur Sprache bringen sollte. Sie probierte ein paar Einleitungen, aber eine klang lahmer als die andere, und so beschloß sie zu improvisieren. Sie hatte nicht viel in der Hand, aber ihr Gefühl sagte ihr, daß sie recht hatte. Den Bruchteil einer Sekunde überlegte sie, Patrik anzurufen und ihm von ihrem Verdacht zu erzählen, doch dann schob sie den Gedanken rasch beiseite und entschloß sich, der Sache zunächst selbst nachzugehen. Allzuviel stand auf dem Spiel.
Der Weg bis zum Ziel ihrer Fahrt war kurz, aber ihr schien es eine Ewigkeit zu dauern. Als sie auf den Parkplatz unterhalb des Strandhotels einbog, winkte ihr Dan fröhlich vom Boot aus zu. Sie hatte sich gedacht, daß er hier zu finden war. Erica winkte, aber lächelte nicht zurück. Sie schloß das Auto ab, und die Hände in den Taschen ihres hellbraunen Dufflecoat vergraben, schlenderte sie auf Dan zu. Der Tag war diesig und grau, aber die Luft wirkte frisch, und sie atmete ein paarmal tief ein, um die letzten Wolken aus ihrem Kopf zu vertreiben, verursacht von dem erheblichen Weinkonsum des gestrigen Tages.
»Hallo, Erica.«
»Hallo.«
Dan arbeitete weiter an seinem Boot, schien sich aber zu freuen, daß er Gesellschaft bekam. Erica schaute sich leicht nervös nach Pernilla um, noch immer beunruhigt von dem Blick, den Dans Frau ihnen beim letzten Mal zugeworfen hatte. Aber im Licht der Wahrheit gesehen, verstand sie das alles weitaus besser.
Zum erstenmal bemerkte Erica, wie schön das alte, abgenutzte Fischerboot war. Dan hatte es von seinem Vater übernommen und mit viel Liebe gepflegt. Die Fischerei saß ihm im Blut, und es war sein großer Kummer, daß man mit diesem Beruf keine Familie mehr versorgen konnte. Zwar fühlte er sich in seiner Lehrerrolle an der Tanumsschule wohl, aber diese Sache hier war seine wirkliche Berufung. Während er an dem Boot herumwirtschaftete, war das Lächeln die ganze Zeit nicht weit weg. Die anstrengende Arbeit machte ihm nichts aus, und die Winterkälte hielt er sich mit warmer Kleidung vom Leib. Er hievte eine schwere Taurolle auf die Schulter und
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