Die Eisprinzessin schläft
näher zu untersuchen. Nimm vor allem Henrik Wijkner bedeutend härter in die Mangel, als es bisher getan wurde. Dieser Bursche weiß mehr, als er sagt, da könnte ich wetten.«
Martin nickte eifrig und schrieb, was das Zeug hielt, auf seinem Block. Annika sah ihn über den Rand der Lesebrille mit zärtlichem Muttergefühl an.
»Leider bringt uns das hier an den Ausgangspunkt zurück, was die Verdächtigen im Mordfall Alex angeht. Anders erschien in dieser Rolle äußerst vielversprechend, und, ja, jetzt hat die Sache ein anderes Aussehen bekommen. Patrik, du gehst noch mal das ganze Material durch, was wir zum Wijkner-Mord haben. Nimm jedes Detail gründlich unter die Lupe. Irgendwo steckt jener Anhaltspunkt, der uns entgangen ist.« Mellberg hatte diesen Satz in einem Fernsehkrimi gehört und ihn sich für späteren Gebrauch gemerkt.
Gösta war jetzt der einzige, der noch keine Aufgabe erhalten hatte, und Mellberg betrachtete die Wand mit der Übersicht und überlegte einen Moment.
»Gösta, du wirst mit Alexandra Wijkners Familie reden. Sie wissen vielleicht noch etwas, was sie nicht erzählt haben. Frage nach Freunden und Feinden, nach der Kindheit, der Persönlichkeit, einfach nach allem, was dir einfällt. Sprich mit ihren Eltern und der Schwester, aber sieh zu, daß du mit jedem allein redest. Nach meiner Erfahrung bekommt man so am meisten aus den Leuten heraus. Stimm dich aber mit Molin ab, der mit ihrem Mann reden wird.«
Gösta sackte zusammen unter der Last einer konkreten Aufgabe und seufzte resigniert. Nicht, daß ihm die Sache Zeit vom Golfspielen stehlen könnte, jetzt mitten im eiskalten Winter, aber in den letzten Jahren hatte er es sich geradezu abgewöhnt, eine richtige Arbeit zu erledigen. Er hatte die Kunst verfeinert, beschäftigt auszusehen, und statt dessen auf dem Bildschirm Patience gelegt, um die Zeit vergehen zu lassen. Daß er jetzt konkrete Ergebnisse aufweisen sollte, lag ihm wie eine schwere Last auf den Schultern. Die Zeit der Ruhe und des Friedens war vorbei. Sie würden die Überstunden vermutlich nicht mal bezahlt kriegen. Er konnte sich glücklich preisen, wenn er überhaupt den Sprit für die Fahrt nach Göteborg und zurück ersetzt bekam.
Mellberg klatschte in die Hände und scheuchte dann alle los.
»Also ab jetzt. Wir können hier nicht auf unseren Ärschen hocken, wenn wir den Fall lösen wollen. Ich rechne damit, daß ihr härter arbeitet als je zuvor, und was die Freizeit anbelangt, der könnt ihr euch wieder widmen, wenn die Sache hier vorbei ist. Bis dahin gehört eure Zeit mir, über die ich nach Wunsch verfügen kann. Also los.«
Selbst wenn jemand etwas dagegen hatte, daß sie wie Kleinkinder losgescheucht wurden, so reagierte doch keiner. Sie standen auf, nahmen ihre Stühle in die eine und Block und Stift in die andere Hand. Nur Ernst Lundgren blieb noch stehen, aber Mellberg war erstaunlicherweise nicht in der Stimmung für Schmeicheleien, sondern schickte auch ihn aus dem Zimmer.
Das war ein äußerst lohnender Tag gewesen. Zwar hatte es ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht, daß sich sein erster Kandidat auf der Verdächtigenliste als Fehlschluß herausstellte, aber die Tatsache, daß eins plus eins bedeutend mehr als zwei ergab, wog das mehr als auf. Ein Mord war ein Ereignis, zwei Morde waren eine Sensation in einem so kleinen Bezirk wie diesem. War er sich früher ziemlich sicher gewesen, daß er mit der Lösung des Wijkner-Falls eine Direktfahrkarte ins Zentrum des Geschehens erhielt, war er jetzt felsenfest davon überzeugt, daß man ihn bei einer sauberen Paketlösung auf den Knien anflehen würde zurückzukommen.
Mit so guten Zukunftsaussichten in Reichweite lehnte sich Bertil Mellberg auf seinem Stuhl zurück, streckte die Hand routiniert nach der dritten Schublade aus, nahm einen Schokoladenball und stopfte ihn im Ganzen in den Mund. Dann verschränkte er die Hände hinterm Kopf, machte die Augen zu und beschloß, ein Nickerchen zu halten. Trotz allem war es schließlich schon fast Mittag.
Nachdem Patrik gegangen war, hatte sie versucht, ein paar Stunden zu schlafen. Daraus wurde nicht viel. All die Gefühle, die sich in ihrer Brust drängten, führten dazu, daß sie sich hin und her warf, und unentwegt ließ ein Lächeln ihre Mundwinkel nach oben rutschen. Es sollte verboten sein, derart glücklich zu sein. Das Gefühl des Wohlbefindens war so stark, daß sie kaum wußte, was sie mit sich anfangen sollte. Sie drehte sich auf die
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