Die Eisprinzessin schläft
ganz privaten Hölle. Ihr wäre es natürlicher erschienen, wenn Dan hergekommen wäre, um sich trösten zu lassen. Dann hätte sie gewußt, was sie sagen sollte, welche Worte lindern könnten. Pernilla kannte sie nicht gut genug, um zu wissen, wie sie ihr helfen sollte. Vielleicht genügte es, ihr einfach zuzuhören.
»Warum, glaubst du, hat er das getan? Was hat er bei mir nicht bekommen, das er bei der fand?«
Erica verstand plötzlich, warum Pernilla zu ihr und nicht zu einer ihrer viel engeren Freundinnen gegangen war. Sie glaubte, daß Erica, was Dan anging, über eine Antwort verfügte. Daß sie Pernilla den Grund mitteilen konnte, weshalb er so gehandelt hatte. Leider würde Erica sie enttäuschen müssen. Ihr war Dan immer als die Ehrlichkeit selbst erschienen, und es wäre ihr nicht im Traum eingefallen, daß er untreu sein könnte. Nie zuvor war sie so verwundert gewesen wie in dem Moment, als in Alex’ Telefon nach der zuletzt gewählten Nummer Dans Stimme von der Mailbox ertönte.
Um ganz ehrlich zu sein, hatte sie in dem Augenblick eine maßlose Enttäuschung verspürt. Jene Enttäuschung, die man erlebt, wenn jemand, der einem nahesteht, sich als völlig fremde Person erweist. Deshalb verstand sie, daß Pernilla sich nicht nur verraten und betrogen fühlte, sondern sich auch fragte, wer der Mann eigentlich war, mit dem sie all die Jahre zusammen gelebt hatte.
»Ich weiß es nicht, Pernilla. Es hat mich wirklich total überrascht. Es paßt nicht zu dem Dan, den ich kenne.«
Pernilla nickte, und es schien sie etwas zu trösten, daß sie nicht als einzige getäuscht worden war. Sie zupfte nervös unsichtbare Fussel von ihrer geräumigen Jacke. Ihre langen dunkelbraunen Haare mit Resten einer Dauerwelle waren flüchtig zu einem Pferdeschwanz nach hinten genommen, und ihre ganze Erscheinung wirkte ungepflegt. Erica hatte immer leicht abfällig gedacht, daß Pernilla weil mehr aus sich machen könnte. Sie legte sich immer noch eine Dauerwelle, obwohl die ungefähr genauso lange aus der Mode war wie Herrenblousons, und ihre Sachen kaufte sie permanent über Versandhäuser, billig im Preis und, was Mode anging, von genauso billiger Qualität. Aber so verwahrlost hatte Erica sie noch nie gesehen.
»Pernilla, ich weiß, daß es für dich im Moment unglaublich schwer ist, aber ihr seid eine Familie, du, Dan und die Kinder. Ihr habt drei wunderbare Töchter, und ihr beide hattet fünfzehn gute Jahre zusammen. Tue nichts Übereiltes. Versteh mich richtig, ich will ihn für das, was er getan hat, nicht in Schutz nehmen. Vielleicht könnt ihr nach dieser Sache nicht weitermachen. Vielleicht läßt es sich nicht verzeihen. Aber warte mit irgendwelchen Beschlüssen, bis sich das hier ein wenig gesetzt hat. Überlege genau, bevor du etwas tust. Ich weiß, daß Dan dich liebt, er hat es erst heute gesagt, und ich weiß auch, daß er das Geschehene tief bereut. Er sagt, daß er die Geschichte beenden wollte, und ich glaube ihm.«
»Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll, Erica. Nichts von dem, was ich bisher geglaubt habe, entsprach der Wahrheit, also woran soll ich jetzt glauben?«
Darauf ließ sich nichts antworten, und das Schweigen zwischen ihnen war bedrückend.
»Wie ist sie gewesen?«
Wieder sah Erica tief in Pernillas Augen ein kaltes Funkeln. Sie brauchte nicht zu fragen, wen Pernilla meinte.
»Das ist so lange her. Ich habe sie nicht mehr gekannt.«
»Sie war schön. Ich habe sie jeden Sommer hier gesehen. Sie war genau so, wie ich mir immer gewünscht habe zu sein. Schön, elegant und kultiviert. Neben ihr fühlte ich mich wie eine Bauerngans, und ich hätte alles dafür gegeben, so wie sie zu sein. Irgendwie kann ich Dan verstehen. Stell mich und Alex nebeneinander, dann ist klar, wer gewinnt.«
Sie zerrte frustriert an ihrer praktischen, aber unmodernen Kleidung, wie um zu demonstrieren, was sie meinte.
»Ich habe auch dich immer beneidet. Seine große Jugendliebe, die in die Großstadt gefahren ist und ihn, der ihr hinterherseufzte, hier zurückließ. Die Autorin aus Stockholm, die wirklich etwas aus ihrem Leben gemacht hat und die ab und zu herkam und vor uns normalen Sterblichen glänzte. Dan hat sich auf deine Besuche schon immer Wochen im voraus gefreut.«
Die Bitterkeit in Pernillas Stimme entsetzte Erica, und zum erstenmal schämte sie sich ihrer herablassenden Gedanken Pernilla gegenüber. Wie wenig sie doch begriffen hatte. Wenn sie sich selbst prüfte, mußte sie zugeben, daß es
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