Die Eisprinzessin schläft
Fehler gewesen war, persönlich in ihrem Zimmer zu erscheinen, statt ihr nur einfach einen Zettel hinzulegen. Er hätte wissen sollen, daß sie alles sofort durchschaute, und außerdem war ihr Gespür für Romanzen geradezu übernatürlich. Man konnte nur die weiße Fahne hissen und kapitulieren. Also lehnte er sich zurück und wartete auf das Sperrfeuer von Fragen, das unverkennbar bevorstand. Sie leitete die Sache sanft, aber hinterhältig ein. »Du siehst heute vielleicht mitgenommen aus.«
»Hmm …«
Für die Information würde sie allerdings etwas arbeiten müssen.
»Gab es gestern ‘ne Party?« Annika fischte weiter und suchte mit machiavellistischer List nach Löchern in seiner Rüstung.
»Tja, was heißt Party. Das hängt wohl davon ab, wie man es sieht. Was genau versteht man unter einer Party?« Er warf die Arme in die Luft und riß die hellblauen Augen unschuldig auf.
»Äh, laß den Scheiß, Patrik. Erzähle jetzt. Wer ist sie?«
Er sagte nichts, sondern ließ sie in der Stille leiden. Nach einigen Sekunden sah er an ihren Augen, daß ihr ein Licht aufging »Aha!« Der Ausruf klang triumphierend, und Annika fuchtelte siegesgewiß mit ihrem Zeigefinger vor seiner Nase.
»Sie ist es, wie heißt sie bloß, wie heißt sie .«
Sie schnippte mit den Fingern, während sie fieberhaft in ihrer Erinnerung suchte. »Erica! Erica Falck!« Erleichtert lehnte sie sich auf dem Stuhl zurück. »Sooo, Patrik . Wie lange geht das schon .?«
Er hörte nie auf, sich zu wundern, mit welch unglaublicher Präzision sie immer sofort die richtige Lösung fand. Es hatte auch keinen Sinn, das Ganze abzustreiten. Er fühlte, daß er knallrot wurde, und das sprach eine deutlichere Sprache als alles, was er hätte sagen können. Außerdem konnte er nicht verhindern, daß ein Lächeln auf seinem Gesicht erschien, und damit war er Annika endgültig ausgeliefert.
Nach fünf Minuten ununterbrochenem Ausgefrage gelang es Patrik endlich, Annikas Fängen zu entkommen, und er hatte das Gefühl, man habe ihn durch die Mangel gedreht. Es war jedoch nicht unangenehm gewesen, das Thema Erica zu erörtern, und nur mit Schwierigkeit kehrte er zu der Aufgabe zurück, die er beschlossen hatte sich sofort vorzunehmen. Er zog seine Jacke an, teilte Annika mit, wohin er zu gehen gedachte, und begab sich in das Winterwetter hinaus, wo jetzt große Schneeflocken langsam zu Boden fielen.
Vor ihrem Fenster sah Erica Schneeflocken fallen. Sie saß vor dem Computer, hatte ihn aber ausgeschaltet und starrte auf den schwarzen Schirm. Trotz der dröhnenden Kopfschmerzen hatte sie sich gezwungen, zehn Seiten über Selma Lagerlöf zu schreiben. Sie verspürte bei dem Thema keinen Enthusiasmus mehr, aber sie war an ihren Vertrag gebunden, und in ein paar Monaten mußte das Buch fertig sein. Das Gespräch mit Dan hatte ihrer guten Laune einen Dämpfer versetzt, und sie fragte sich, ob er die Sache wohl in diesem Moment Pernilla erzählte. Sie beschloß, ihre Besorgnis in bezug auf Dan für etwas Kreatives zu nutzen, und startete den Computer erneut.
Der Entwurf zu dem Buch über Alex lag auf dem Arbeitsplatz des Computers, und sie öffnete das Dokument mit den jetzt gut hundert Seiten. Sie las es methodisch von Anfang bis Ende durch. Es war gut. Sogar sehr gut. Nur machte es ihr Sorgen, wie all die Personen in Alex’ Umkreis reagieren würden, wenn das Buch gedruckt vorlag. Zwar hatte Erica die Geschichte um einiges verändert, die Namen der Personen und die Orte ausgetauscht und obendrein ihre Phantasie ein wenig schweifen lassen, aber der Kern des Buches handelte unverkennbar von Alex’ Leben, gesehen mit den Augen Ericas. Nicht zuletzt die Sache mit Dan bereitete ihr gehöriges Kopfzerbrechen. Sie konnte doch ihn und seine Familie nicht auf diese Weise bloßstellen. Gleichzeitig spürte sie, daß sie das hier einfach schreiben mußte. Zum erstenmal hatte der Stoff zu einem Buch sie wirklich begeistert. Es hatte im Laufe der Jahre zu viele andere Ideen gegeben, die ihren Ansprüchen nicht genügt hatten und die sie deshalb wieder verworfen hatte, als daß sie es sich nun leisten konnte, die Sache fallenzulassen. Zunächst wollte sie sich darauf konzentrieren, das Buch zu Ende zu schreiben, dann konnte sie sich des Problems annehmen, wie sie mit den Gefühlen der Beteiligten umzugehen gedachte.
Fast eine Stunde war mit eifrigem Schreiben vergangen, als es an der Tür klingelte. Erst war sie verärgert, daß man sie gerade jetzt störte, wo sie
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