Die Eisprinzessin schläft
Schneeflocken fielen noch immer herab, gleich Sternschnuppen am schwarzen Nachthimmel.
»Dann habe ich auch ziemlich viel über Anna und das Haus nachgedacht. Ich habe dieser Tage bei einem Gespräch mit ihr den Hörer aufgeknallt, und seitdem plagt mich das schlechte Gewissen. Vielleicht bin ich egoistisch gewesen. Habe nur daran gedacht, was es für mich bedeutet, wenn das Haus verkauft wird, wie sehr es mir fehlen wird. Aber Anna hat es wirklich auch nicht so leicht. Sie versucht das Beste aus ihrer Situation zu machen, und selbst wenn ich finde, daß es falsch ist, so tut sie es doch nicht, um mir eins auszuwischen. Zwar kann sie manchmal ziemlich naiv und gedankenlos sein, aber sie ist immer rücksichtsvoll und großzügig gewesen, und ich habe in letzter Zeit meinen Kummer und meine Enttäuschung an ihr ausgelassen. Vielleicht ist es doch am besten, das Haus zu verkaufen. Von vorn anzufangen. Ich kann mir ja sogar ein neues, wenn auch viel kleineres Haus für das Geld anschaffen. Vielleicht bin ich zu sentimental. Es ist Zeit, nach vorn zu schauen und damit aufzuhören, das, was hätte sein können, zu beklagen. Statt dessen sollte ich die Dinge ins Auge fassen, die ich tatsächlich habe.«
Patrik verstand, daß sie jetzt nicht nur von ihrem Haus sprach. »Wie ist der Unfall mit deinen Eltern passiert? Wenn du nichts gegen die Frage hast?«
»Nein, geht schon klar.« Sie atmete tief durch. »Sie waren in Strömstad bei meiner Tante gewesen. Es war dunkel, und es hatte geregnet, und in der Kälte wurde die Straße spiegelglatt. Vater fuhr immer vorsichtig, aber man glaubt, daß ihnen ein Tier vor den Wagen gelaufen ist. Er ist abrupt ausgeschert, kam ins Schleudern, und das Auto fuhr direkt gegen einen Baum. Sie waren vermutlich sofort tot. Wenigstens hat man mir und Anna das so gesagt. Aber man weiß ja nicht, ob das stimmt.«
Eine einzelne Träne lief Erica die Wange hinunter, und Patrik beugte sich vor und strich sie weg. Er faßte sie ums Kinn und zwang sie, ihn direkt anzusehen.
»Man würde euch das nicht sagen, wenn es nicht wahr wäre. Ich bin sicher, daß sie nicht gelitten haben, Erica. Ganz sicher.«
Sie nickte stumm. Sie glaubte seinen Worten, und ihr war, als nähme man eine große Last von ihrer Brust. Das Auto hatte gebrannt, und sie hatte nächtelang wach gelegen und sich voller Entsetzen ausgemalt, daß ihre Eltern lange genug gelebt haben könnten, um das Feuer noch zu spüren. Patriks Worte nahmen ihr die Unruhe, und zum erstenmal fühlte sie eine Art Frieden, als sie an den Unfall dachte, der ihre Eltern das Leben gekostet hatte. Die Trauer war noch immer da, aber die Angst war verschwunden. Mit dem Daumen strich Patrik noch ein paar Tränen weg, die über ihr Gesicht irrten.
»Arme Erica. Meine arme Kleine.«
Sie nahm seine Hand und legte sie sich an die Wange. »Ich bin kein bißchen zu bedauern, Patrik. Ich bin wirklich noch nie so glücklich gewesen wie jetzt, wie in diesem Augenblick. Es ist merkwürdig, ich fühle mich so unglaublich sicher mit dir. Merke nichts von der Unsicherheit, die man sonst verspürt, wenn man gerade zusammengekommen ist. Was glaubst du, woran das liegt?«
»Ich glaube, es liegt daran, daß wir füreinander bestimmt sind.«
Erica errötete bei seinen großen Worten. Aber sie mußte zugeben, daß sie es genauso empfand. Es war, als sei man angekommen.
Wie auf ein Signal standen sie vom Tisch auf, ließen den Abwasch stehen, wo er war, und gingen eng umschlungen ins Schlafzimmer hoch. Draußen wütete ein Schneesturm.
Es war ein sonderbares Gefühl, wieder in seinem alten Kinderzimmer zu wohnen. Besonders, da ihr Geschmack sich im Laufe der Jahre verändert hatte, der Raum aber noch immer so war wie früher. Viel Rosa und jede Menge Spitze, das war nicht mehr richtig ihre Sache.
Julia lag rücklings auf dem schmalen Mädchenbett und starrte an die Decke, die Hände auf dem Bauch gefaltet. Alles war im Begriff einzustürzen. Ihr ganzes Leben fiel um sie herum zusammen und bestand nur noch aus einem einzigen Haufen Scherben. Es war, als hätte sie die ganzen Jahre im Spiegelkabinett gelebt, wo nichts so war, wie es zu sein vorgab. Was aus ihrem Studium werden würde, wußte sie nicht. Jede Begeisterung war mit einem Schlag von ihr abgefallen, und jetzt ging das Semester ohne sie weiter. Obwohl sie nicht glaubte, daß jemand ihr Fehlen bemerkte. Es war ihr nie sonderlich leichtgefallen, Freunde zu finden.
Wenn es nach ihr ging, konnte sie ebensogut
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