Die Eisprinzessin schläft
hier in ihrem rosa Zimmer liegenbleiben und die Decke anstarren, bis sie alt und grau geworden war. Birgit und Karl-Erik würden es nicht wagen, sie zu hindern. Wenn nötig, konnte sie den Rest ihres Lebens auf deren Kosten leben. Das schlechte Gewissen würde das Portemonnaie für alle Zukunft offenhalten.
Es war, als bewege sie sich durch Wasser. Alle Bewegungen waren schwer und kraftraubend, und die Geräusche drangen nur wie durch einen Filter zu ihr. Anfangs war es anders gewesen. Da hatten rechtmäßiger Zorn und ein Haß sie erfüllt, der so stark war, daß er sie erschreckte. Noch immer haßte sie, doch jetzt nicht mehr voller Energie, sondern eher resigniert. Sie war es so gewöhnt, sich selbst zu verachten, daß sie geradezu körperlich spürte, wie der Haß die Richtung änderte, sich statt nach außen nun nach innen wandte und ihr große Löcher in die Brust ätzte. Alte Gewohnheiten waren schwer abzulegen. Sich selbst zu hassen war eine Kunstart, die sie bis zur Perfektion zu praktizieren gelernt hatte.
Sie drehte sich auf die Seite. Auf dem Schreibtisch stand ein Foto von ihr und Alex, und sie nahm sich vor, es wegzuschmeißen. Sobald sie imstande war, vom Bett aufzustehen, würde sie es in tausend Stücke reißen. Die Bewunderung, die in ihrem Blick auf dem Bild lag, ließ sie das Gesicht verziehen. Alex war kühl und schön wie immer, während das häßliche junge Entlein neben ihr sie vergötternd ansah. In Julias Augen war Alex fehlerlos gewesen, und insgeheim hatte Julia stets die Hoffnung genährt, daß sie eines Tages aus ihrer Puppe schlüpfen und selbst genauso schön und selbstsicher sein würde wie Alex. Sie lächelte höhnisch über ihre eigene Naivität. Was für ein Spaß! Dieser Spaß ging außerdem ganz und gar auf ihre Kosten. Sie fragte sich, ob die anderen hinter ihrem Rücken darüber geredet hatten. Ob sie über diese dumme, häßliche kleine Gans Julia gelacht hatten.
Als es vorsichtig an der Tür klopfte, zog sie sich total in sich zusammen. Sie wußte, wer da stand.
»Julia, wir machen uns Sorgen um dich. Willst du nicht ein bißchen zu uns runterkommen?«
Sie gab Birgit keine Antwort. Statt dessen studierte sie mit äußerster Konzentration eine Strähne ihres Haares. »Bitte, Julia, Liebes.«
Birgit kam herein und setzte sich auf den Stuhl am Schreibtisch, Julia zugewandt. »Ich verstehe, daß du wütend bist und uns vielleicht sogar haßt, aber glaube mir, es war nicht unsere Absicht, dir weh zu tun.«
Es verschaffte Julia Befriedigung, daß sie so mitgenommen und gedrückt wirkte. Es sah aus, als hätte sie nächtelang nicht geschlafen. Vielleicht hatte sie das auch nicht. Neue Krähenfüße waren um ihre Augen erschienen, und Julia dachte hämisch, daß das Liften, was sich Birgit nächstes Jahr zu ihrem Fünfundsechzigsten gönnen wollte, vielleicht früher gemacht werden mußte, als sie gerechnet hatte. Birgit zog den Stuhl ein wenig näher und legte Julia die Hand auf die Schulter. Die schüttelte sie sofort wieder ab, und Birgit zuckte verletzt zurück.
»Kleine, wir lieben dich alle. Das weißt du.«
Nicht im Traum wußte sie das. Was sollte dieses Theater? Sie waren sich doch beide im klaren darüber, was sie voneinander zu halten hatten, und was Liebe war, wußte Birgit ohnehin nicht. Die einzige, die sie geliebt hatte, war Alex. Immer nur Alex.
»Wir müssen doch darüber reden, Julia. Wir müssen uns jetzt gegenseitig stützen.«
Birgits Stimme bebte. Julia fragte sich, wie oft Birgit wohl gewünscht hatte, daß statt Alex lieber sie, Julia, gestorben wäre.
Dann sah sie Birgit aufgeben; ihre Hand zitterte, als sie den Stuhl zurückstellte. Bevor sie aus dem Zimmer ging, warf sie ihr einen letzten flehenden Blick zu. Demonstrativ drehte sich Julia zur Wand. Sie hörte, wie sich die Tür leise hinter Birgit schloß.
Der Morgen war normalerweise nicht eben Patriks Lieblingszeit des Tages, und der heutige war besonders miserabel. Erstens war er gezwungen, Erica in ihrem warmen Bett allein zu lassen, um zur Arbeit zu gehen. Zweitens mußte er eine halbe Stunde Schnee schippen, um überhaupt an sein Auto zu gelangen. Und drittens startete die Scheißkarre nicht, als er sie endlich freigeschaufelt hatte. Nach wiederholten Versuchen mußte er die Sache aufgeben und zu Erica zurückgehen, um zu fragen, ob er ihr Auto ausborgen dürfe. Das ging in Ordnung, und zum Glück sprang ihr Wagen gleich beim ersten Versuch an.
Eine halbe Stunde verspätet stürzte
Weitere Kostenlose Bücher