Die Eisprinzessin schläft
verbrachte seine Tage, indem er einem zu diesem Zeitpunkt längst routinierten Ablauf folgte. Jeder Tag sah aus wie der andere, und das traf auch auf den heutigen zu. Er stand um sieben Uhr auf, frühstückte und putzte dann die ganze Küche mit starken Reinigungsmitteln, um alle eventuellen Bakterien auszurotten, die das Essen, das er zum Frühstück zu sich genommen hatte, in der Zeit, als es nicht im Kühlschrank stand, hatte ausstreuen können. Die folgenden Stunden nutzte er, um das restliche Haus zu reinigen, Staub zu wischen und Ordnung zu machen. Erst gegen eins konnte er sich eine Pause gönnen und sich mit einer Zeitung auf die Veranda setzen. Nach spezieller Absprache mit der Briefträgerin Signe erhielt er sein Blatt jeden Morgen in einer Plastiktüte. So konnte er das Bild all der schmutzigen Menschenhände, die es angefaßt hatten, bevor es in seinem Briefkasten landete, wenigstens notdürftig verdrängen.
Ein Klopfen an der Tür ließ seinen Adrenalinspiegel in die Höhe schnellen. Niemand wurde um diese Zeit erwartet. Die Lieferung der Nahrungsmittel erfolgte freitags, und zwar früh am Morgen. Das war im Prinzip der einzige Besuch, den er bekam. Mühsam bewegte er sich Zentimeter für Zentimeter auf die Tür zu. Das Klopfen wiederholte sich hartnäckig. Er streckte seine zitternde Hand nach dem oberen Schloß aus und drehte den Schlüssel um. Er wünschte, daß er einen Spion besäße, wie er sich oft an Wohnungstüren befand, aber in seinem alten Haus gab es nicht einmal ein Fenster neben der Tür, durch das er den Eindringling hätte sehen können. Er schloß auch das untere Schloß auf und öffnete die Tür mit wild klopfendem Herzen, wobei er die Lust bezwingen mußte, einfach die Augen zuzumachen, um sich den Anblick des Schrecklichen, Namenlosen zu ersparen, das dort draußen wartete.
»Axel? Axel Wennerström?«
Er entspannte sich. Frauen waren weniger bedrohlich als Männer. Sicherheitshalber öffnete er die Kette nicht.
»Ja, das bin ich.« Er versuchte so abweisend wie möglich zu klingen. Er wollte nur, daß sie, wer immer sie auch war, verschwinden und ihn in Ruhe lassen sollte.
»Hallo, Axel. Ich weiß nicht, ob du dich an mich erinnerst, aber du hattest mich in der Schule. Erica Falck.«
Er suchte in seinem Gedächtnis. Es waren so viele Jahre und so viele Kinder gewesen. Schwach tauchte das Bild eines kleinen blonden Mädchens auf. Genau, Tores Tochter.
»Könnte ich vielleicht ein paar Worte mit dir wechseln?«
Sie schaute ihn auffordernd durch den Türspalt an. Axel seufzte tief, hakte die Kette ab und ließ sie herein. Er versuchte nicht daran zu denken, welche Mengen an unbekannten Organismen sie in sein sauberes Zuhause einschleppte. Er wies auf ein Schuhregal, um ihr zu zeigen, daß sie die Schuhe ausziehen sollte. Sie gehorchte brav und hängte auch ihren Mantel an den Haken. Um ihren Schmutz nicht ins ganze Haus zu schleppen, zeigte er auf die Korbmöbel in der Veranda. Sie setzte sich aufs Sofa, und er nahm sich vor, die Kissen sofort zu waschen, wenn sie gegangen war.
»Ja, das ist nicht gerade gestern gewesen.«
»Stimmt, es muß so fünfundzwanzig Jahre her sein, daß du in meine Klasse gegangen bist, wenn ich richtig rechne.«
»Ja, genau. Die Jahre vergehen schnell.«
Axel fand das Geplauder frustrierend, aber er fügte sich widerwillig. Er wünschte, sie würde auf den Anlaß zu sprechen kommen, wegen dem sie ihn aufgesucht hatte, damit sie schnell wieder ging und er sein Haus für sich hatte. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was sie von ihm wollte. Schüler waren im Laufe der Jahre zu Hunderten gekommen und gegangen, bisher aber war er davon verschont geblieben, daß ihn einer von ihnen aufsuchte. Jetzt aber befand sich Erica Falck hier vor ihm, und er saß ihr in seinem Korbsessel wie auf glühenden Kohlen gegenüber, eifrig bemüht, sie möglichst bald loszuwerden. Seine Augen gingen ständig zu dem Kissen, auf dem sie saß, und er konnte buchstäblich sehen, wie all die Bakterien, die sie mitgebracht hatte, vom Sofa herunterwimmelten und sich über den Fußboden ausbreiteten. Es genügte wohl nicht, das Kissen zu waschen, er mußte, nachdem sie gegangen war, einfach das ganze Haus reinigen und desinfizieren.
»Du fragst dich bestimmt, warum ich hier bin.«
Er nickte nur zur Antwort.
»Du mußt gehört haben, daß Alexandra Wijkner ermordet wurde.«
Das hatte er, und die Sache hatte Dinge an die Oberfläche gewirbelt, die zu
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