Die Eisprinzessin schläft
seine Vermutung genauso gut war wie die von Erica, und die Falte zwischen ihren Augenbrauen vertiefte sich. Das war nicht die Antwort, die sie gewünscht hatte. Aber sie mußte sich damit begnügen.
»Ja, dann war da noch was anderes. Ich erinnere mich vage, daß damals im Zusammenhang mit Alex über irgendwas geredet wurde. Ich weiß auch noch, daß die Erwachsenen dabei die Schule erwähnten. Hast du vielleicht eine Ahnung, was das gewesen sein könnte? Meine Erinnerungen sind wirklich nur sehr unbestimmt, aber da war irgendwas, was man uns Kinder nicht hören lassen wollte.«
Axel fühlte, wie alle seine Glieder plötzlich erstarrten. Er hoffte, man sah ihm seine Bestürzung nicht genauso deutlich an, wie er sie spürte. Er wußte natürlich, daß das Gerücht die Runde gemacht hatte, so geschah es schließlich immer. Nichts ließ sich geheimhalten, aber trotzdem hatte er geglaubt, daß der Schaden in Grenzen gehalten worden war. Er selbst hatte dabei mitgeholfen. Das zerfraß ihn noch immer von innen her. Erica wartete auf eine Antwort.
»Nein, ich kann mir nicht vorstellen, was das sein könnte. Aber es wird ja so viel geredet. Du weißt doch, wie die Leute sind. Da steckt doch nur selten was dahinter. An deiner Stelle würde ich nicht viel darauf geben.«
Die Enttäuschung war ihrem Gesicht abzulesen. Sie hatte nichts über die Sache erfahren, die sie hergeführt hatte, soviel war ihm klar. Aber er hatte keine Wahl. Es war wie bei einem Schnellkochtopf. Würde er den Deckel auch nur eine Winzigkeit lüften, könnte das alles zur Explosion bringen. Gleichzeitig drang noch immer etwas darauf, erzählt zu werden. Als hätte jemand anders seinen Körper eingenommen, öffnete sich der Mund, und die Zunge fing an, Worte zu formen, die nicht gesagt werden durften. Zu seiner Erleichterung erhob sich Erica, und der Augenblick war vorüber. Sie zog Mantel und Stiefel an und streckte ihm die Hand hin. Er blickte die Hand an und schluckte ein paarmal, bevor er sie ergriff. Er mußte sich beherrschen, um nicht angewidert das Gesicht zu verziehen. Der Kontakt mit der Haut eines anderen Menschen ekelte ihn unbeschreiblich. Endlich ging sie aus der Tür, drehte sich aber im selben Augenblick um, als er sie schließen wollte.
»Ach, übrigens, ist dir bekannt, ob Nils Lorentz irgendeinen Bezug zu Alex oder, in diesem Zusammenhang, auch zur Schule hatte?«
Axel zögerte, faßte aber dann einen Entschluß. Sie würde es doch irgendwie erfahren, wenn nicht von ihm, dann von jemand anderem. »Erinnerst du dich denn nicht? Er war doch in euren Klassen für ein Halbjahr als Hilfslehrer tätig.«
Dann schloß er die Tür, drehte die Schlüssel in beiden Schlössern um, legte die Kette vor, lehnte sich mit dem Rücken an die Füllung und machte die Augen zu.
Kurz darauf nahm er die Putzmittel zur Hand und beseitigte alle Spuren der unwillkommenen Besucherin. Erst dann erschien ihm seine Welt wieder sicher.
Der Abend hatte nicht gut angefangen. Bereits als er nach Hause kam, war Lucas schlecht gelaunt, und sie versuchte ihm die ganze Zeit einen Schritt voraus zu sein, damit er keinen weiteren Grund zur Verärgerung finden konnte. Inzwischen wußte sie, daß er, wenn er in schlechter Stimmung heimkam, nur noch nach einem Grund suchte, um seiner Wut Auslauf zu verschaffen.
Sie verwandte besondere Sorgfalt auf das Essen, bereitete sein Lieblingsgericht zu und deckte den Tisch mit viel Liebe. Die Kinder hielt sie sich vom Leib, indem sie im Videorecorder in Emmas Zimmer »Der König der Löwen« laufen ließ und Adrian mit der Flasche fütterte, so daß er einschlief. In den CD-Player hatte sie Lucas’ Lieblingsscheibe von Chet Baker eingeschoben, und schließlich zog sie sich noch ein bißchen extra schick an und widmete sich Frisur und Make-up besonders gründlich. Aber sie begriff sehr bald, daß alles, was sie tat, an diesem Abend keine Rolle spielte. Lucas hatte offensichtlich einen sehr schlimmen Tag im Job gehabt, und die Wut, die sich in ihm angestaut hatte, mußte einfach heraus. Anna sah das Funkeln in seinen Augen, und es war, als würde sie hier herumlaufen und nur darauf warten, daß die Bombe explodierte.
Der erste Schlag kam ohne Vorwarnung. Eine schallende Ohrfeige von rechts. Sie hielt sich die Wange und schaute zu Lucas hoch, als hoffte sie noch immer, daß etwas in ihm sich erweichen ließe beim Anblick der Spuren, die seine Hand an ihr hinterlassen hatte. Statt dessen weckte das erst recht seine Lust, ihr
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