Die Eisprinzessin schläft
sich, wodurch der Abstand zwischen ihr und ihm auf mehrere Meter anwuchs, doch dann hatte er sich entschieden und schloß zu ihr auf.
»Eine schöne Zeremonie.«
Sie lächelte bitter. »Sie wissen genausogut wie ich, daß Anders’ Begräbnis so pathetisch war wie der größte Teil seines Lebens. Aber trotzdem vielen Dank. Es war nett gesagt.« Veras Stimme ließ die Müdigkeit vieler Jahre hören. »Eigentlich sollte ich vielleicht dankbar sein. Vor nicht allzu langer Zeit hätte er auf dem öffentlichen Friedhof nicht einmal beerdigt werden dürfen. Er hätte einen abgelegenen Platz erhalten, außerhalb der geweihten Erde, an einem Ort, der für Selbstmörder vorgesehen war. Immer noch gibt es unter den Älteren viele, die glauben, daß Selbstmeuchler nicht in den Himmel kommen.«
Sie verstummte ein Weilchen. Patrik blieb schweigsam.
»Wird das, was ich bei Anders’ Selbstmord getan habe, irgendwelche rechtlichen Folgen haben?«
»Nein, da kann ich wohl garantieren, daß nichts nachkommt. Es war bedauerlich, daß Sie sich so verhalten haben, und natürlich gibt es für so was auch Gesetze, aber nein, ich glaube nicht, daß es rechtliche Folgen haben wird.«
Sie kamen am Gemeindehaus vorbei und gingen langsam auf Veras Haus zu, das nur ein paar hundert Meter von der Kirche entfernt lag. Patrik hatte die ganze Nacht gegrübelt, wie er vorgehen sollte, und war auf eine grausame, aber hoffentlich erfolgreiche Lösung gekommen. Wie nebenher sagte er: »Was ich bei dieser Geschichte um den Tod von Anders und Alex am tragischsten finde, ist, daß auch ein Kind sterben mußte.«
Vera drehte sich abrupt zu ihm um. Sie blieb stehen und packte ihn heftig beim Mantelärmel. »Was für ein Kind? Wovon reden Sie?«
Patrik war dankbar, daß diese Information wider alle Erwartungen geheimgeblieben war.
»Alexandras Kind. Sie war schwanger, als sie ermordet wurde. Im dritten Monat.«
»Ihr Mann …«
Vera stammelte, aber Patrik fuhr mit erzwungener Gefühlskälte fort: »Ihr Mann hatte nichts damit zu tun. Offenbar hatten sie seit Jahren keinen Verkehr. Nein, der Vater scheint jemand zu sein, den sie häufig hier in Fjällbacka traf.«
Vera hatte sich in seinem Mantelärmel festgekrallt. »Mein Gott. O mein Gott.«
»Ja, ist das nicht grausam. Ein ungeborenes Kind zu töten. Nach dem Obduktionsprotokoll war es wohl ein kleiner Junge.«
Er war angewidert, zwang sich aber, jetzt nicht noch mehr zu sagen, sondern statt dessen auf die Reaktion zu warten, mit der er rechnete.
Sie standen unter dem großen Kastanienbaum, fünfzig Meter von Veras Haus entfernt. Als sie sich plötzlich ruckartig in Bewegung setzte, war er total überrascht. Sie rannte erstaunlich schnell für ihr Alter, und es dauerte ein paar Sekunden, bis Patrik fähig war, ihr hinterherzulaufen. Als er zu ihrem Haus kam, stand die Tür weit offen, und er trat vorsichtig ein. Schluchzende Laute drangen vom Badezimmer in den Flur, und dann hörte er, wie sie sich heftig erbrach.
Er fand es idiotisch, mit der Mütze in der Hand im Flur stehenzubleiben und zuzuhören, wie sie sich übergab, also zog er seine feuchten Schuhe aus, hängte den Mantel an den Haken und ging in die Küche. Als Vera ein paar Minuten später erschien, blubberte die Kaffeemaschine, und zwei Tassen standen auf dem Küchentisch. Sie war bleich, und zum erstenmal sah er Tränen. Nur eine Spur, ein Glänzen im Augenwinkel, aber das genügte. Vera nahm steif auf einem der Küchenstühle Platz.
In wenigen Minuten war sie um Jahre gealtert, und sie bewegte sich langsam, wie eine bedeutend ältere Frau. Patrik gewährte ihr ein paar weitere Minuten Aufschub, in denen er Kaffee in die Tassen goß, aber in dem Moment, als er sich setzte, ließ er sie durch einen auffordernden Blick verstehen, daß der Augenblick der Wahrheit gekommen war. Sie wußte, daß er es wußte, und es gab kein Zurück.
»Ich habe also mein Enkelkind umgebracht.«
Patrik nahm es als rhetorische Frage und gab keine Antwort. Wenn er es täte, müßte er vorläufig noch lügen. Jetzt, wo er so weit gekommen war, konnte er keinen Rückzieher machen. Die Wahrheit würde sie schon noch früh genug erfahren. Aber jetzt war erst mal er an der Reihe.
»Ich habe verstanden, daß Sie Alex ermordet haben, als Sie behaupteten, in der Woche vor ihrem Tod dort gewesen zu sein. Sie sagten, Sie hätten in ihrem kalten Haus gesessen und gefroren, aber der Heizkessel ist erst in der Woche darauf kaputtgegangen, also in der Woche, als
Weitere Kostenlose Bücher