Die Eisprinzessin schläft
treffen. Das war wirklich unerwartet«, sagte Patrik. Er wippte nervös auf den Fußsohlen hin und her.
»Ja, wenn ich ein bißchen nachgedacht hätte, wäre mir natürlich eingefallen, daß du hier arbeitest.« Sie drehte die Riemen ihrer Handtasche zwischen den Fingern und schaute ihn mit leicht schräg gehaltenem Kopf an. Alle ihre kleinen Gesten waren ihm bestens bekannt.
»Wir haben uns lange nicht gesehen. Es tut mir leid, daß ich nicht zur Beerdigung kommen konnte. Wie seid ihr damit fertig geworden, Anna und du?«
Trotz ihrer Größe sah sie mit einemmal wie ein kleines Mädchen aus, und er widerstand der Versuchung, ihr über die Wange zu streichen.
»Ja, es geht wohl so. Anna ist direkt nach der Beerdigung heimgefahren, und ich bin jetzt seit ein paar Wochen hier und versuche, das Haus in Ordnung zu bringen. Aber es ist schwer.«
»Ich hatte gehört, daß eine Frau aus Fjällbacka das Mordopfer gefunden hat, aber ich wußte nicht, daß du es warst. Das muß schrecklich gewesen sein. Ihr wart ja außerdem als Kinder befreundet.«
»Ja, das ist ein Anblick, den ich bestimmt nie wieder von der Netzhaut wegbekomme, glaube ich jedenfalls. Du, ich muß jetzt los, sie warten auf mich im Auto. Können wir uns nicht bei Gelegenheit sehen? Ich werde noch eine Zeitlang in Fjällbacka bleiben.« Sie war schon unterwegs den Korridor hinunter.
»Wie wär’s zum Essen am Samstagabend? Zu Hause bei mir um acht? Die Adresse steht im Telefonbuch.«
»Ich komme gern. Dann bis Samstag um acht.« Sie ging rückwärts aus der Tür.
Sobald sie außer Sichtweite war, führte er zum großen Entzücken der Kollegen gleich auf dem Flur einen Indianertanz auf. Die Freude legte sich jedoch etwas, als er einsah, wieviel Arbeit es erforderte, das Haus in einen präsentablen Zustand zu versetzen. Seit Karin ihn verlassen hatte, war er nicht richtig imstande gewesen, sich um die Haushaltsdinge zu kümmern.
Erica und er hatten sich von Geburt an gekannt. Ihre Mütter waren seit der Kindheit die besten Freundinnen und sich so nahe wie Schwestern gewesen. Patrik und Erica hatten sich, als sie klein waren, oft getroffen, und es war keine Übertreibung, wenn er behauptete, daß Erica seine erste große Liebe war. Er persönlich glaubte, daß er schon seit der Geburt verliebt in sie gewesen war. Das, was er immer für sie empfunden hatte, war eine absolute Selbstverständlichkeit, und sie ihrerseits hatte seine devote Bewunderung als gegeben hingenommen, ohne je darüber nachzudenken. Erst als Erica nach Göteborg zog, begriff er, daß er die Träume aufgeben mußte. Natürlich hatte er sich seitdem auch in andere verliebt, und als er und Karin heirateten, tat er das in der absoluten Überzeugung, daß sie zusammen alt werden würden. Erica aber war ihm immer im Hinterkopf geblieben. Manchmal vergingen Monate, ohne daß er an sie dachte, dann wieder fiel sie ihm mehrmals am Tag ein.
Der Papierstapel war in der Zeit seines Wegseins nicht wie durch ein Wunder geschrumpft. Mit einem tiefen Seufzer setzte er sich an den Schreibtisch und nahm sich das zuoberst liegende Dokument vor. Die Arbeit war so eintönig, daß er nebenher über die Speisefolge für Samstag nachdenken konnte. Das Dessert jedenfalls stand fest. Erica hatte schon immer Eis geliebt.
Er wachte mit einem furchtbaren Geschmack im Mund auf. Es hatte gestern anscheinend ein ordentliches Besäufnis gegeben. Die Kumpels waren am Nachmittag vorbeigekommen, und zusammen hatten sie bis in die frühen Morgenstunden gebechert. Eine vage Erinnerung, daß die Polizei irgendwann am gestrigen Abend aufgetaucht war, befand sich irgendwo am Rand seines Bewußtseins. Er versuchte sich aufzusetzen, doch das ganze Zimmer drehte sich, und er beschloß, noch ein Weilchen liegenzubleiben.
Die rechte Hand brannte, und er hob sie zur Decke, so daß sie in sein Blickfeld geriet. Die Knöchel waren gehörig aufgeschrammt und voll von geronnenem Blut. Ja, Scheiß, es hatte gestern ein bißchen Krach gegeben, deshalb waren die Bullen auch gekommen. Die Erinnerung kehrte mehr und mehr zurück. Die Jungs hatten angefangen, über den Selbstmord zu reden. Einer von ihnen hatte eine Menge Mist über Alex von sich gegeben. »Reiche Schlampe«, »Fotze aus der Highsociety« waren Ausdrücke, mit denen der Kerl sie belegt hatte. Ihm, Anders, waren die Sicherungen durchgebrannt, und danach erinnerte er sich nur noch an einen roten Wutnebel. In seiner maßlosen Raserei hatte er dem anderen die Fresse
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