Die Eisprinzessin schläft
kurzen Begegnungen, die ich mit Henrik hatte, kann ich aber unmöglich sagen, was er weiß und was nicht. Dieser Mann hat ein völlig unbewegtes Gesicht, und ich glaube, egal, was er weiß oder spürt, er ist in jedem Fall sehr darauf bedacht, sich nichts anmerken zu lassen.«
»Dieser Typ Mensch funktioniert zuweilen wie ein Dampfkochtopf. Der Druck wird allmählich immer größer, und eines Tages kann er explodieren. Glaubst du, das ist vielleicht passiert? Hat der verschmähte Gatte plötzlich genug bekommen und die untreue Ehefrau getötet?«
»Ich weiß nicht, weiß es wirklich nicht, Patrik. Aber jetzt, finde ich, trinken wir einfach noch mehr Wein, mehr, als eigentlich vernünftig ist, und reden über alles und nichts, ausgenommen über Mord und Totschlag.«
Er stimmte bereitwillig zu und hob sein Glas zu einem Skäl.
Sie wechselten zum Sofa und verbrachten den Rest des Abends damit, in ungezwungenem Ton über alles mögliche zu reden. Sie erzählte von ihrem Leben, von ihren Sorgen wegen des Hauses und dem Kummer wegen des Todes ihrer Eltern. Er berichtete von der Wut und dem Gefühl des Scheiterns nach der Scheidung und seiner Frustration, sich wieder am Anfang des Spiels zu befinden, gerade als er das Gefühl gehabt hatte, für Kinder und eine Familie bereit zu sein.
Auch die stillen Minuten waren behaglich, und in diesen Momenten mußte Patrik sich zügeln, um sich nicht vorzubeugen und Erica zu küssen. Er hielt sich zurück, und dann war der Augenblick auch schon verstrichen.
3
Er sah, wie man sie hinaustrug. Er wollte schreien und sich auf ihren bedeckten Körper werfen. Sie für immer behalten.
Jetzt war sie wirklich weg. Fremde Menschen würden in ihrem Leib herumstochern und sie befühlen. Keiner von ihnen würde ihre Schönheit so wahrnehmen wie er.
Für die anderen war sie nur ein Stück Fleisch. Eine Nummer auf einem Blatt Papier, ohne Leben, ohne Feuer.
Mit seiner linken Hand strich er über die Handfläche der rechten. Gestern hatte er damit ihren Arm gestreichelt. Er drückte die Hand gegen die Wange und versuchte, ihre kalte Haut an seinem Gesicht zu spüren.
Er fühlte nichts. Sie war weg.
Blaulicht blinkte. Menschen hasteten hin und her, ins Haus und wieder heraus. Warum diese Eile? Es war doch längst zu spät.
Niemand sah ihn. Er war unsichtbar. Er war immer unsichtbar gewesen.
Das machte nichts. Sie hatte ihn gesehen. Für sie war er immer sichtbar gewesen. Wenn sie ihre blauen Augen auf ihn gerichtet hatte, fühlte er sich wahrgenommen.
Nichts war jetzt übrig. Das Feuer des Kampfes war seit langem erloschen. Er stand in der Asche und schaute zu, wie sein Leben weggetragen wurde, bedeckt mit einer gelben Krankenhausdecke. Am Ende des Weges gab es keine Wahl. Das hatte er immer gewußt, und nun war der Augenblick endlich gekommen. Er hatte sich nach ihm gesehnt. Er umarmte ihn.
Sie war für immer verschwunden.
Nelly hatte ein wenig verwundert geklungen, als Erica sie anrief. Einen Augenblick lang überlegte Erica, ob sie aus der Mücke vielleicht einen Elefanten gemacht hatte. Aber es ließ sich nicht leugnen, daß Nellys Auftauchen bei Alex’ Begräbniskaffee merkwürdig war. Und wieso hatte sie fast ausschließlich mit Julia geredet? Karl-Erik hatte zwar in der Fabrik von Fabian Lorentz als Bürovorsteher gearbeitet, aber soweit Erica wußte, hatten die Familien privat nie miteinander verkehrt. Carlgrens standen gesellschaftlich weit unter den Lorentzens.
Der Salon, in den man sie wies, war von erlesener Schönheit. Die Aussicht reichte vom Hafen auf der einen Seite bis zum offenen Horizont hinter den Inseln auf der anderen. An einem Tag wie diesem, an dem die schneebedeckte Eisfläche die Sonnenstrahlen reflektierte, konnte sich der winterliche Ausblick mit dem schönsten Sommerpanorama messen.
Sie nahmen auf einer eleganten Polstergarnitur Platz, und Erica wurden von einem Silbertablett kleine Schnittchen angeboten. Sie schmeckten phantastisch, aber Erica versuchte, sich im Zaum zu halten, um nicht unfein zu wirken. Nelly aß nur ein einziges davon, aus Furcht, ein Gramm Fleisch auf ihr knochiges Gerippe zu bekommen.
Das Gespräch verlief höflich, aber schleppend. In den langen Pausen zwischen den Worten war nur das gleichmäßige Ticken einer Uhr und vorsichtiges Schlürfen zu hören, wenn sie beide von ihrem heißen Tee tranken. Die Themen betrafen neutrale Dinge. Den Wegzug der jungen Leute aus Fjällbacka. Den Mangel an Arbeitsplätzen. Wie
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