Die Eisprinzessin schläft
über Frauen schreibst?«
»Das war wohl anfangs mehr Zufall, glaube ich. Ich habe meine Diplomarbeit über große schwedische Schriftstellerinnen geschrieben und war so fasziniert, daß ich mehr darüber erfahren wollte, also woher sie kamen und wie sie als Menschen waren. Angefangen habe ich, wie Sie vielleicht wissen, mit Anna Maria Lenngren, weil ich von ihr am wenigsten wußte, und dann ist es immer so weitergegangen. Im Moment schreibe ich über Selma Lagerlöf, und da gibt es ja so einige interessante Aspekte.«
»Hast du nie darüber nachgedacht, etwas, wie soll ich sagen . Nichtbiographisches zu schreiben? Deine Sprache hat einen solchen Fluß, daß es wirklich interessant wäre, etwas Literarisches von dir zu lesen.«
»Ja, es gibt schon Gedanken in diese Richtung.« Erica versuchte sich nichts anmerken zu lassen. »Aber im Moment bin ich mit dem Lagerlöf-Projekt voll ausgelastet. Danach werden wir sehen, was passiert.« Sie schaute auf die Uhr. »Apropos die Arbeit, ich muß mich jetzt wohl leider verabschieden. Auch wenn es keine Stempeluhr in meinem Beruf gibt, so ist Disziplin notwendig, um das tägliche Pensum zu schreiben. Ganz herzlichen Dank für den Tee - und die wundervollen Schnittchen.«
»Keine Ursache. Es war wirklich nett, dich hier zu haben.«
Nelly erhob sich graziös vom Sofa. Nun war nichts mehr von irgendwelchen Altersbeschwerden zu spüren. »Ich bringe dich zur Tür. Früher hätte das unsere Haushälterin Vera getan, aber die Zeiten ändern sich. Es ist nicht mehr modern, eine Haushälterin zu haben, und das kann sich ja wohl auch kaum jemand leisten. Ich hätte sie schon gern behalten, wir haben ja das Geld, aber Jan lehnte es ab. Er will keine Fremden im Haus haben, sagt er. Aber daß sie einmal die Woche zum Putzen kommt, das geht merkwürdigerweise. Ja, es ist nicht immer leicht, sich auf euch junge Leute zu verstehen.«
Offenbar hatten sie jetzt einen neuen Grad der Bekanntschaft erreicht, denn als Erica ihr die Hand zum Abschied hinstreckte, ignorierte Nelly das und gab ihr statt dessen links und rechts ein Luftküßchen. Erica wußte jetzt instinktiv, mit welcher Seite sie beginnen mußte, und fühlte sich fast weltmännisch. Langsam war sie auch in feineren Salons zu Hause.
Erica eilte heim. Sie hatte Nelly nicht den wahren Grund dafür genannt, weshalb sie gehen mußte. Sie schaute auf die Uhr. Zwanzig vor zwei. Punkt zwei würde ein Makler erscheinen und sich das Haus wegen des Verkaufs ansehen. Erica knirschte mit den Zähnen bei dem Gedanken daran, daß jemand durch die Räume gehen und alles anfassen würde, aber es blieb ihr nichts übrig, als den Dingen ihren Lauf zu lassen.
Das Auto war zu Hause geblieben, und sie beschleunigte den Schritt, um rechtzeitig dazusein. Andererseits konnte sie den Mann ruhig ein bißchen warten lassen, dachte sie, und ging etwas langsamer. Weshalb sollte sie sich abhetzen?
Angenehmere Gedanken meldeten sich. Das Essen am Samstagabend bei Patrik hatte ihre Erwartungen weit übertroffen. Patrik war Erica früher immer wie ein lieber, aber leicht nervender kleiner Bruder erschienen, obwohl sie eigentlich gleich alt waren. Nun hatte sie einen reifen, warmherzigen und humorvollen Mann getroffen. Er sah auch keineswegs schlecht aus, mußte sie zugeben. Die Frage war nur, wie bald sie ihn anstandslos zu sich einladen konnte - also zum Dank für diesen Abend.
Der letzte Hang zu Sälviks Campingplatz hoch sah verräterisch flach aus, aber er zog sich lang hin. Sie keuchte heftig, als sie nach rechts abbog und die letzte kleine Steigung zum Haus nahm. Als sie oben ankam, blieb sie konsterniert stehen. Ein großer Mercedes war vor dem Haus geparkt, und sie wußte sehr wohl, wem der Wagen gehörte. Sie hatte nicht erwartet, daß dieser Tag noch stressiger werden würde, als er schon war. Da hatte sie sich also geirrt.
»Hallo Erica.« Lucas lehnte mit verschränkten Armen an der Haustür.
»Was machst denn du hier?«
»Heißt man seinen Schwager so willkommen?« Sein Schwedisch hatte einen leichten Akzent, war aber grammatisch einwandfrei.
Lucas breitete spöttisch die Arme aus, als erwarte er eine Umarmung. Erica ignorierte das Angebot, und sie sah, daß ihn das nicht überraschte. Sie hatte nie den Fehler begangen, Lucas zu unterschätzen. Deshalb ließ sie in seiner Nähe stets äußerste Vorsicht walten. Am liebsten hätte sie ihm eine Ohrfeige ins grinsende Gesicht verpaßt, aber sie wußte, daß sie damit etwas in Gang setzen
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