Die Eisprinzessin schläft
Erica den Verdacht aufkommen ließ, daß man der Natur mit dem Messer nachgeholfen hatte. Das Haar war ihr schönstes Attribut: dick und silbergrau, zusammengenommen zu einem eleganten Knoten, aber so straff nach hinten gekämmt, daß es die Stirnhaut ein wenig nach oben zog, was Nellys Gesicht einen leicht verwunderten Ausdruck verlieh. Erica schätzte ihr Alter auf gut über Achtzig. Es ging das Gerücht, daß sie in ihrer Jugend Tänzerin gewesen war und Fabian Lorentz kennengelernt hatte, als sie im Ballett einer Göteborger Einrichtung tanzte, in der sich feine Mädchen nicht hätten zeigen können. Erica meinte in Nellys noch immer graziösen Bewegungen die geschulte Tänzerin zu erkennen. Der offiziellen Version nach war sie jedoch nie auch nur in die Nähe einer Tanzanstalt gekommen, sondern es hieß, sie sei die Tochter eines Stockholmer Konsuls.
Nach einigen Minuten diskreten Gesprächs verließ Nelly die trauernden Eltern, ging nach draußen und setzte sich zu Julia auf die Veranda. Niemand ließ auch nur mit einer Miene erkennen, wie merkwürdig man das fand. Die Leute fuhren in ihrer Konversation fort und behielten das ungleiche Paar wachsam im Auge.
Erica stand wieder allein in der Ecke, da sich Francine unter die anderen Gäste gemischt hatte, und so konnte sie Julia und Nelly ungestört betrachten. Zum erstenmal an diesem Tag sah Erica ein Lächeln auf Julias Gesicht. Sie sprang vom Fensterbrett und setzte sich neben Nelly aufs Korbsofa, und dort saßen sie dann, die Köpfe dicht zusammengesteckt, und flüsterten.
Was für Gemeinsamkeiten hatte dieses so ungleiche Paar? Erica sah zu Birgit hinüber. Endlich liefen ihr nicht mehr Tränen über die Wangen, statt dessen aber fixierte sie mit entsetztem Blick ihre Tochter neben Nelly Lorentz. Erica entschloß sich, die Einladung von Frau Lorentz doch anzunehmen. Es könnte interessant sein, mit ihr ein wenig unter vier Augen zu plaudern.
Mit großer Erleichterung verließ sie schließlich das Haus auf der Anhöhe und war froh, wieder die frische Winterluft zu atmen.
Patrik fühlte sich ein bißchen nervös. Es war lange her, daß er für eine Frau gekocht hatte. Eine Frau, die ihm außerdem alles andere als gleichgültig war. Alles mußte perfekt werden.
Er summte vor sich hin, als er die Gurke für den Salat in Scheiben schnitt. Nach langem, quälerischem Grübeln hatte er sich schließlich für Rinderfilet entschieden. Jetzt lag es gesäubert und gewürzt im Ofen und war bald durchgebraten. Die Soße köchelte auf dem Herd, und bei dem Geruch knurrte ihm der Magen.
Es war ein stressiger Nachmittag gewesen. Er war nicht so früh von der Arbeit weggekommen, wie er gehofft hatte, und mußte deshalb das Haus in Rekordtempo aufräumen. Er war sich nicht im klaren gewesen, wie sehr seine Wohnung verkommen war, seit Karin ihn verlassen hatte, aber als er sie jetzt mit Ericas Augen betrachtete, begriff er, daß ein Großeinsatz vonnöten war.
Es war ihm ein bißchen peinlich, daß er in die stereotype Junggesellenfalle geraten war, mit großer Unordnung in den Zimmern und leerem Kühlschrank. Wie groß die Last war, die Karin hier zu Hause getragen hatte, war ihm zuvor nicht ganz klar gewesen. Er hatte die schmucke, blitzsaubere Wohnung als selbstverständlich hingenommen und keinen Gedanken daran verschwendet, wieviel Arbeit darin steckte. Es gab so manches, was er für selbstverständlich gehalten hatte.
Als Erica an der Tür klingelte, riß er sich schnell die Schürze herunter und warf einen Blick in den Spiegel, um die Frisur zu überprüfen. Obwohl er Schaumfestiger zu Hilfe genommen hatte, waren die Haare genauso widerspenstig wie gewöhnlich.
Erica sah wie immer phantastisch aus. Ihre Wangen waren von der Kälte leicht rosig, und das blonde Haar fiel in dicken Locken über den Kragen der Daunenjacke. Er umarmte sie kurz, gestattete es sich, eine Sekunde die Augen zu schließen und den Duft ihres Parfüms einzuatmen, bevor er sie in die Wärme hereinließ.
Der Tisch war bereits gedeckt, und sie begannen mit der Vorspeise, während sie darauf warteten, daß das Hauptgericht gar wurde. Patrik betrachtete Erica verstohlen, als sie genußvoll ihre mit Krabben gefüllte Avocadohälfte kostete. Nicht gerade was Besonderes, aber kaum falsch zu machen.
»Ich hatte mir nicht vorgestellt, daß du ein Drei-Gänge-Menü zusammenzaubern kannst«, sagte Erica, während sie einen weiteren Bissen nahm.
»Nein, das hatte ich eigentlich auch nicht
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