Die Eissphinx
Vorstellung von dem Wege, den Sie und Arthur Pym seit der Abfahrt von der Insel Tsalal in dem Boote genommen haben?
– Keine, Herr Jeorling! Der arme Pym besaß kein Hilfsmittel mehr… Sie verstehen… kein Instrument, die Sonnenhöhe zu messen. Wir konnten nichts wissen. Jedenfalls hat uns die Strömung aber acht Tage lang nach Süden hinunter getrieben… der Wind ebenfalls… es stand eine leichte Brise bei stillem Meere. Zwei Pagaien hatten wir an Stelle eines Mastes im Boote aufgerichtet und unsere Hemden dienten uns als Segel…
– Ja, fiel ich ein, weißleinene Hemden, vor deren Farbe sich Ihr Gefangener, Nu-Nu, so arg entsetzte…
– Vielleicht… ich habe darauf nicht besonders geachtet… doch wenn Pym es gesagt hat, wird es schon wahr sein!«
Ich wußte vorher nicht, daß einige der Erscheinungen, die in dem nach den Vereinigten Staaten heimgebrachten Tagebuche geschildert sind, der Aufmerksamkeit des Mestizen entgangen waren. Uebrigens befestigte sich in mir immer mehr der Gedanke, daß diese Erscheinungen wohl nur in einer übermäßig aufgeregten Phantasie existiert hatten.
Immerhin wollte ich Dirk Peters über alles das womöglich näher ausforschen.
»Und während jener acht Tage haben Sie sich die nöthige Nahrung verschaffen können?
– Jawohl, Herr Jeorling… und die nächsten Tage ebenfalls… uns und für den Wilden…. Sie wissen ja… wir besaßen drei Schildkröten….diese Thiere enthalten eine gewisse Menge Süßwasser… und ihr Fleisch ist schmackhaft… selbst roh genossen… O… rohes Fleisch… Herr…!«
Bei den letzten Worten ließ Dirk Peters die Stimme sinken und sah sich rings um, als könnte er von Andern gehört werden.
Diese Seele erbebte also immer noch bei der unverlöschbaren Erinnerung an die Vorfälle mit dem »Grampus«! Niemand vermöchte sich den Ausdruck des Entsetzens auf dem Gesicht des Mestizen vorzustellen, als dieser von dem rohen Fleische sprach. Das war nicht der eines Cannibalen von Australien, sondern eines Mannes, der einen unüberwindlichen Abscheu vor sich selbst empfindet.
Nach längerem Schweigen lenkte ich das Gespräch seinem eigentlichen Thema wieder zu.
»War es nicht am ersten März, Dirk Peters, fragte ich, wo Sie – dem Berichte Ihres Genossen nach – zum ersten Male die breite, graue Dunstwand mit schwankenden, leuchtenden Streifen erblickten?
– Das weiß ich nicht, Herr Jeorling, doch wenn es Pym gesagt hat, wird man ihm Glauben schenken müssen.
– Er hat Ihnen niemals von feurigen Strahlen gesprochen, die vom Himmel herabzuckten?« fuhr ich fort, unter Vermeidung des Wortes »Südlicht«, das der Mestize vielleicht nicht verstanden hätte.
Durch die Luft flatterten Schwärme von Vögeln. (S. 269.)
Ich kam hiermit auf die Hypothese zurück, daß jene Erscheinungen von der Intensität in den hohen Breiten so mächtiger elektrischer Ausstrahlungen herrührten, wenn solche überhaupt vorgekommen waren.
»Niemals, Herr Jeorling, antwortete Dirk Peters erst nach einigem Besinnen.
– Sie haben auch nicht bemerkt, daß das Meer seine Farbe veränderte… seine Durchsichtigkeit verlor,… daß es weiß wurde… mehr der Milch ähnelte… daß seine Oberfläche in der Nähe des Bootes besonders bewegt erschien?
– Ob das der Fall war, weiß ich nicht. Verstehen Sie mich recht. Ich war nicht mehr ordentlich bei Bewußtsein. Das Boot trieb dahin… immer weiter… mir schwirrte es im Kopfe….
– Der Staub aber, Dirk Peters, der Staub, der wie seine Asche herunterfiel… der weiße Staub….
– Dessen erinnere ich mich nicht.
– War es denn nicht etwa Schnee?
– Schnee?… Ja… nein… vielleicht. Es war ziemlich warm. Was Pym davon gesagt hat, wird auch wahr sein!«
Ich sah ein, daß ich über diese an sich unwahrscheinlichen Vorkommnisse auch durch weiteres Ausfragen des Mestizen keine Aufklärung bekommen würde. Angenommen, er hätte alle die übernatürlichen Dinge beobachtet, wovon in den letzten Capiteln die Rede ist, so hatte er doch die Erinnerung daran verloren.
Dirk Peters entfernte sich und ließ mich in unaussprechlicher Erregung zurück. (S. 276.)
Jetzt sagte er mit gedämpfter Stimme:
»Pym wird Ihnen aber alles berichten, Herr Jeorling. Er weiß es… ich leider nicht. Er hat es gesehen… ihm werden Sie glauben.
– Gewiß, Dirk Peters, werd’ ich ihm glauben, versicherte ich, um den Mestizen nicht zu betrüben.
– Wir werden doch nach ihm suchen, nicht wahr?
– Ich hoffe
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