Die Eissphinx
zwei Monate dem von der Insel Tsalal fliehenden Boote voraus, das schon von der Annäherung des langen Polarwinters bedroht wurde. Daneben flößte unsere wohlversorgte, gut geführte und reichlich bemannte Goëlette jedermann doch weit mehr Vertrauen ein, als das Fahrzeug Arthur Pym’s, jenes Boot mit Knochenrippen, das bei fünfzig Fuß Länge vier bis fünf Fuß breit war und als Proviant für drei Mann nur drei Schildkröten mitführte.
Ich hegte also für diesen zweiten Theil der Reise die beste Hoffnung.
Im Laufe des Vormittags verschwanden die letzten Eilande des Archipels hinter dem Horizonte. Das Meer bot dasselbe Aussehen, wie wir es von der Insel Bennet her kannten – ohne ein einziges Stück Eis – und das erklärte sich wohl, da das Wasser eine Temperatur von 43° Fahrenheit (+ 6°11 Celsius) aufwies. Die ziemlich schnelle Strömung – von vier bis fünf Seemeilen in der Stunde – verlief unverändert von Norden nach Süden.
Durch die Luft flatterten Schwärme von Vögeln, immer dieselben Arten, wie Alcyons, Pelikane, Captauben, Sturmvögel und Albatrosse. Freilich zeigten die letzteren nicht die riesigen Größenverhältnisse, die Arthur Pym in seinem Tagebuche angiebt, und keiner stieß das ewige tekeli-li hervor, das in der tsalalischen Sprache die häufigste Lautverbindung zu sein schien.
Von den zwei folgenden Tagen ist kein Zwischenfall zu berichten; es wurde weder ein Land, noch die Andeutung eines solchen gemeldet. Die Leute an Bord machten einen reichen Fischfang, da es hier Papageifische, Stockfische, Rochen, Meeraale, Tummler und andere Arten in großer Menge gab. Das vereinigte Talent Hurliguerly’s und Endicott’s versorgte die Tafel des Deckhauses und der Mannschaftsmesse mit angenehmer Abwechslung, und ich glaube, die beiden Freunde hatten auf unsere Anerkennung die gleichen Ansprüche.
Am nächsten Tage, dem 1. Januar 1840 – wiederum eines Schaltjahres – verschleierte ein leichter Nebel die Sonne von Tagesanbruch an, und wir schlossen daraus, daß sich damit ein Witterungsumschlag ankündigen möge.
Es waren nun vier Monate und siebzehn Tage, daß ich die Kerguelen, und zwei Monate und fünf Tage, daß die »Halbrane« die Falklands verlassen hatte.
Wie lange unsere Fahrt noch dauern sollte, das bekümmerte mich weit weniger als die Frage, wie weit sie uns noch durch das antarktische Gebiet verschlagen würde.
Ich muß hier einschalten, daß in dem Verhalten des Mestizen gegen mich – wenn auch nicht gegen den Kapitän Len Guy und die Mannschaft – eine gewisse Veränderung eingetreten war. Da er jedenfalls erkannt hatte, daß ich mich für Arthur Pym interessierte, suchte er mich auf und, um einen volksthümlichen Ausdruck zu gebrauchen, »wir verstanden uns«, ohne daß es dazu der Worte bedurft hätte. Zuweilen entsagte er mir gegenüber sogar seinem gewohnten Stillschweigen. Nahm ihn der Dienst nicht in Anspruch, so schlich er sich wohl nach der Bank hin, wo ich hinter dem Deckhause gern zu sitzen pflegte. Drei-bis viermal mochte es zwischen uns schon zu dem Versuche eines Zwiegesprächs gekommen sein. Sobald freilich der Kapitän Len Guy, der Lieutenant oder der Hochbootsmann an uns herantrat, ging er wieder davon.
Heute gegen zehn Uhr – Jem West hatte die Wache und der Kapitän Len Guy befand sich in seiner Cabine – – kam der Mestize langsam an der Schanzkleidung her, offenbar mit der Absicht, ein Gespräch anzufangen, über dessen Thema kein Zweifel aufkommen konnte.
Sobald er neben meiner Bank stand, fragte ich:
»Nun, Dirk Peters, wollen Sie – um gleich auf den Kern der Sache zu kommen – daß wir von »ihm« sprechen?«
Die Augen des Mestizen leuchteten auf wie kräftig angeblasene Feuergluth.
»Von ihm! murmelte er.
– Sie haben sein Angedenken stets treu bewahrt, Dirk Peters!
– Ich könnte ihn vergessen, Herr… niemals!
– Er ist noch immer da… da vor uns?
– Noch immer!… Verstehen Sie mich recht… alle Noth und Gefahr mit einander getheilt zu haben… das macht zwei Menschen zu Brüdern… nein, zu Vater und Sohn!… Ja, ich liebe ihn wie mein Kind!… Nachdem wir beide so weit weg waren… er, zu weit, denn er ist ja nicht zurückgekehrt!… Mich hat man in Amerika wieder gesehen… doch Pym… der arme Pym… weilt noch immer da draußen.«
Die Augen des Mestizen füllten sich mit schweren Thränen. Ein Wunder, daß sie bei dem Feuer in seinen Augen nicht verdunsteten.
»Dirk Peters, fragte ich weiter, Sie haben keine
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