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Die Eissphinx

Die Eissphinx

Titel: Die Eissphinx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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versicherte, daß sein Boot stets nach Süden getrieben sei, und daß die Länder, von denen er sprach, in dieser Richtung lägen, wurde der Curs der Goëlette nicht geändert. Mich hätte es wohl zur Verzweiflung gebracht, wenn sie von dem Wege Arthur Pym’s abgewichen wäre.
    Ich war und blieb überzeugt, daß die erwähnten Länder vorhanden waren und wir sie in noch höherer Breite auch finden würden.
    Es verdient hervorgehoben zu werden, daß im Laufe unserer Fahrt vom 5. und 6. Januar keinerlei absonderliche Erscheinung zu beobachten war. Wir sahen nichts von einer hin-und herwogenden Dunstwand oder einer Veränderung der Wasserschichten. Was deren ungewöhnliche Wärme betraf, die man »an der Hand nicht aushalten konnte«, so mußte man davon recht viel abziehen. Die Temperatur der Meeresfläche überstieg nie fünfzig Grad Fahrenheit (+ 10° Celsius), was in diesem Theile des antarktischen Gebiets immerhin als auffallend bezeichnet werden kann. Obwohl mir Dirk Peters immer wiederholte: »Was Pym gesagt hat, wird auch wahr sein!« verhielt ich mich solch übernatürlichen Dingen gegenüber doch ziemlich ungläubig – bemerkten wir doch nichts von einer Dunstwand, nichts vom Milchigwerden des Wassers oder vom Niederrieseln weißen Staubes.
    In der Gegend hier wollten die beiden Flüchtlinge auch eines jener gewaltigen weißen Thiere beobachtet haben, die den Bewohnern von Tsalal so heillosen Schrecken einjagten. Der Bericht verschweigt freilich, unter welchen Verhältnissen die Ungeheuer in Sicht des Bootes vorübergekommen wären. Ueberdies begegneten wir mit der »Halbrane« jetzt weder einem Seesäugethiere, noch den riesigen Vögeln oder einem der furchtbaren Raubthiere der Polarwelt.
    Ich bemerke hierzu weiter, daß niemand von uns den eigenartigen Einfluß empfand, wovon Arthur Pym spricht, jene Abstumpfung des Leibes wie des Geistes, die urplötzliche Erschlaffung, die auch die geringste physische Anstrengung unmöglich machte.
    Vielleicht erklärt es sich auch nur aus seinem schon pathologischen Zustande, daß er jene seltsamen Erscheinungen, die von einer Störung seiner geistigen Fähigkeiten herrührten, wirklich wahrzunehmen glaubte.
    Endlich, am 7. Januar – nach Dirk Peters’ Annahme, die indeß auch nur auf einer Schätzung nach der verflossenen Zeit beruhte – waren wir etwa an der Stelle angelangt, wo der im Boote liegende Wilde Nu-Nu den letzten Seufzer ausgehaucht hatte. Zweiundeinhalb Monat später, mit dem 22. März, schließt das über die außergewöhnliche Reise geführte Tagebuch ab. Damals schwebten dichte, nur von dem klaren Wasser etwas gemäßigte Nebelmassen hier umher und am Horizonte ballte sich die weiße Dunstwand zusammen…
    Von der »Halbrane« aus war freilich kein solches verblüffendes Wunder zu beobachten, und immer erleuchtete der in langer Spirale hinwandernde Sonnenball den fernen Horizont.
    Es war ein Glück zu nennen, daß uns keine Dunkelheit umhüllte, da dann jede Höhenmessung unmöglich gewesen wäre.
    Eine recht gute Beobachtung am 9. Januar ergab – die geographische Länge hielt sich immer zwischen dem zweiundvierzigsten und dreiundvierzigsten Meridian – ergab, sage ich, 86°33’ der Breite.
    Hier war es, soweit der Mestize sich dessen erinnerte, wo die beiden Flüchtlinge, nach dem Zusammenstoß des Bootes mit der Eisscholle, von einander getrennt wurden.
    Dabei drängt sich eine Frage auf. Hatte die Eisscholle, die Dirk Peters wieder nach Norden zu trug, unter der Wirkung einer Gegenströmung gestanden?
    Das mußte wohl der Fall gewesen sein, denn schon seit zwei Tagen trieb auch unsere Goëlette nicht mehr mit der Meeresströmung, die sie von der Insel Tsalal her nach Süden getragen hatte. Das ist im Südpolarmeere, wo alles so veränderlich ist, gar nicht zu verwundern. Zum Glück hielt die frische Brise aus Norden an und unter vollen Segeln drang die »Halbrane« weiter nach den höchsten Breiten vor, wobei sie bereits jetzt den Schiffen Weddell’s um dreizehn, und der »Jane« um zwei Grad voraus war. Die Landmassen – Inseln oder Festland – freilich, die der Kapitän in dem unbegrenzten Polarmeere sachte, ließen sich nicht erblicken. Ich empfand es, daß er nach und nach immer mehr das Vertrauen verlor, das schon durch so viele fruchtlose Nachforschungen erschüttert war.
    Ich selbst blieb immer von dem Verlangen erfüllt, Arthur Pym ebenso wie die Ueberlebenden von der »Jane« gerettet zu sehen. Wer konnte aber glauben, daß auch er

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