Die Eistoten: Thriller (German Edition)
dämliche Zicke!«, sagte Alice laut und drehte das Radio ab.
»Kennst du diese Journalistin?«
»Sie hat mit mir gesprochen, und jetzt, zwanzig Minuten später, hat sie meine Sätze so zusammengeschnitten, dass sich das Ganze wie ein Horrormärchen anhört.«
»So ist die Presse. Sie will Aufmerksamkeit, Quoten, damit ihre Zeitungen attraktiver als Werbeplatz werden. Letztendlich geht es ihnen gar nicht um die Toten in Hintereck, nicht um dich, sondern nur darum, dass die Konzerne ihren neuesten Mist unter die Leute bringen.«
Die vorbeiflirrende Winterlandschaft hatte auf Alice wie eine Schlaftablette gewirkt. Irgendwann war sie eingeschlafen. Sie erwachte erst wieder, als der Wagen still stand und sie auf eine rote Backsteinmauer blickte. Der Parkplatz der Justizvollzugsanstalt befand sich außerhalb. Hier wird also Justiz vollzogen, dachte Alice. Doch was an ihrem Großvater vollzogen wurde, hatte in ihren Augen nichts mit Justiz zu tun. Da waren die Guten, die gegen das Böse kämpften, gegen Mörder, Diebe und Betrüger. Hinter den vier Meter hohen Backsteinmauern mit Stacheldrahtverhau, den Wachtürmen mit bewaffneten Wächtern und den Videokameras verwahrte man das Böse. Einen großen Unterschied zur psychiatrischen Klinik gab es kaum, nur dass es im Irrenhaus weniger Wachtürme gab. Ihr Großvater hatte hier nichts zu suchen. Du hast auch nichts in der Klapse zu suchen, Alice. Trotzdem steckt dich dein Vater ins Irrenhaus.
Engelhardt hatte keine Schwierigkeit, die Kontrollposten zudurchlaufen. An den ersten Metalldetektoren ging der Alarm los. Engelhardt musste seine Waffe abgeben, Alice ihr Handy und ihren Schlüsselbund. Fünf Minuten später wartete sie in einem kahlen Raum mit einem Tisch und zwei Stühlen.
34.
Ihr Großvater sah schlecht aus. Er lächelte gezwungen, und hätte Alice ihn nicht einfach umarmt, hätte er sie einfach per Handschlag begrüßt, so als wäre sie eine Fremde. Er wirkte abwesend, als wären die Vorwürfe gegen ihn nur eine schlecht gespielte Komödie.
»Was machst du denn hier?«
Alice konnte es nicht vermeiden, Tränen liefen ihr an den Wangen herunter. Sie wischte sich flüchtig über die Wange. Keiner hatte es bemerkt. Sie blickte an die Decke. Eine schwarze Rundumlinse. Man beobachtete sie also, und sicherlich war Engelhardt in einem Nebenraum und hörte jedes Wort.
»Ich musste dich sehen.«
»Dein Vater reißt mir den Kopf ab.«
»Ist ja nicht deine Schuld. Ich bin aus freien Stücken hierhergekommen.«
»Wer hat dich hergebracht?«
»Kommissar Engelhardt.«
»Der Preiß …«
»Ja, der Preiß …« Alice grinste in das Kameraauge über ihr.
»Der würde mich am liebsten einsperren und den Schlüssel wegwerfen.«
»Er glaubt nicht, dass du es warst. Keiner tut das.«
»Wenn das so wäre, dann wäre ich nicht mehr hier.«
»Es sind nur Indizien … und Zeugenaussagen.«
»Was für Zeugenaussagen?«
»Ich kann dir nur sagen, was Engelhardt mir erzählt hat.« Sie fasste kurz den Anschlag auf Tom zusammen, dass er im Koma lag und der Hausmeister des Hotels im Leichenschauhaus. Als sie Wegener und Gruber erwähnte, zogen sich die Augen des Großvaters zu Schlitzen zusammen.
»Das ist ja wie im Krieg, damals in Russland. Die Ostfront …«
»Keine Geschichten aus Russland, Opa. Dafür haben wir keine Zeit. Wir müssen deine Unschuld beweisen.«
»Wegener, diese Drecksau, und der Gruber, von dem brauch ich erst gar nicht zu reden. Die wollen sich ihr Gewissen reinwaschen.«
»Hast du dem Kommissar von den beiden erzählt?«
»Hatte noch keine Gelegenheit dazu.«
»Hast du den Hausmeister des Hotels gekannt?«
»Ja, wie man halt die Leute in Hintereck kennt, die nicht aus Hintereck kommen.«
»Hast du ihn gekannt?«
»Die im Hotel sind die im Hotel, und die im Dorf sind die im Dorf. Warum sollte ich den Hausmeister kennen?«
»Vielleicht vom Stammtisch, oder vielleicht hat er euch beim Maibaumaufstellen geholfen.«
»Maibaum? Es reicht schon, wenn seit kurzem die Deppen aus Hindelang bei der Einweihung dabei sind. Für die ist alles nur Folklore. Die rennen den ganzen Tag rum und fotografieren.«
»Du kanntest ihn also nicht?«
»Wen?«
»Den Hausmeister vom Hotel.«
»Woher sollte ich den kennen?«
»Schon gut …«
»Alice, du solltest nach Hause gehen und deine Schulaufgaben machen.«
»Es sind noch Ferien, und morgen ist Silvester.«
»Die werden mich sicher nicht rauslassen.«
»Keine Sorge, Opa, ich nehme das in die
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