Die Eistoten: Thriller (German Edition)
Gedanken durch. Wittgenstein war gerade nicht da, um ihn um Rat zu fragen. Alice wüsste gerne, wo der Philosoph sich herumtrieb, wenn er nicht bei ihr war.
War es möglich, dass Wegener und Gruber ein so verzwicktes Komplott ausgetüftelt hatten? Sie töteten die Tochter Zugls und spekulierten darauf, dass die Polizei nicht ermitteln würde. Es musste wie ein Unfall aussehen, dann gaben sie Zugl Hinweise, dass es vielleicht kein Unfall war. Dann setzten sie auf Zugls Verzweiflung, die Suche nach dem Mörder seiner Tochter selbst in die Hand zu nehmen. Möglich war so etwas. In extrem schlechten Krimis, wo die Opfer immer genau so reagieren, wie der schlaue Täter es voraussieht. Dazu kam noch die völlig abwegige Art des Tötens. Ein perfekter Mord ohne Spuren, der aussah wie ein Unfall. Begangen von Wegener und Gruber. Allein dies war schon abwegig. Hinzu kam noch, dass Zugl auch anders reagiert haben könnte. Er hätte genauso gut eine Auszeit in der Psychiatrie nehmen können. Alice traute Wegener alles zu. Ein hinterfotziger Pfennigfuchser, meinte ihr Großvater einmal. Gruber war einfach gestrickt. Zu einer solchen Tat wäre er gar nicht in der Lage. Blieb noch die These, dass sie beide nur auf einen fahrenden Zug aufgesprungen waren. Es gab einen unbekannten Dritten. Jemanden, der die Tochter Zugls getötet hatte. Ein perfekter Mord, der aussah wie die Verkettung unglücklicher Umstände. Ein psychopathischer Serienmörder, der vielleicht schon seit Jahren für die Eistoten verantwortlich war. In diesem Fall wären Wegener und Gruber nur zwei Profiteure. Das würde am ehesten zu ihnen passen.
Wegener und Gruber sind dazu nicht in der Lage … nicht krank genug.
Ihr Großvater stand im Wintermantel in der Tür. Aufbruchstimmung. Irgendetwas war im Busch. Im Gesicht ihres Großvaters stand ein Ausdruck, der einer verklemmten Tür ähnelte. Seit dem Anruf war etwas geschehen.
»Sie haben eine Mädchenleiche gefunden«, sagte ihr Großvater, »an der Kirche.«
Alice biss sich auf die Lippe. Sie tippte die letzte Nachricht, bevor sie den Computer ausschaltete.
Die Tote aus dem Wald ist ins Dorf gekommen.
17.
13 Uhr
Die Turmuhr schlug viermal zur vollen Stunde, gefolgt von einem dumpfen Glockenschlag der Dicken Berta. Seit über hundert Jahren hing sie im Glockenstuhl. Sie war den Hintereckern so vertraut, dass keiner sie mehr hörte, genauso wenig wie die Kuhglocken.
Der Platz vor der Kirche war mit gelbem Sicherungsband abgesperrt. Zwei Streifenwagen der Polizei standen quer auf dem Trottoir. Tom war schon vorher da und fotografierte die Schaulustigen.
»Scheißkalt«, sagte er.
»Was aber niemand daran hindert, zu glotzen«, ergänzte Alice.
»Wie wir …«
»Ich leite eine Ermittlung«, antwortete Alice und drängte durch die hinteren Reihen der Schaulustigen. Unbekannte Gesichter, Skitouristen und Hotelgäste. Der Stammtisch des»Schwarzen Bichl« war vollständig vertreten. Oberschrat mit rotem Kopf, neben ihm Haas, Wegener und Gruber.
»Du kannst doch deinem Vater jetzt Bescheid sagen, dass wir …«
»Spinnst du? Der steckt mich gleich ins Irrenhaus. Der schleppt mich schon zum Psychologen. Ich werde mit dem Tod meiner Mutter nicht fertig, sagt er. Ich weiß nicht, was der Psychoarzt von mir will. Ich und Wittgenstein haben ihm nichts zu sagen.«
»Vielleicht solltest du Wittgenstein sagen, dass er seinen Mund hält.«
»Das wäre das Ende der Zivilisation … Auf jeden Fall hätte dann der Stumpfsinn in Hintereck gewonnen.«
»Bringt dir auch nichts, wenn der Psy dich in die Gummizelle sperrt.«
»Das weiß Wittgenstein zu verhindern.«
»Wenn du es sagst.«
»Das sage nicht ich, das sagt die Vernunft.«
»Menschen sind keine Computer.«
»Kannst du was sehen?«, fragte Alice.
»Nichts. Die stehen mit ihrem Ski-Zeugs in der ersten Reihe. Versuchen wir es über die Friedhofsmauer.«
Der Umweg hatte sich gelohnt. Von hinten war die Kirche nicht abgeriegelt. Alice drückte sich an der Mauer der Kirche entlang. Als sie nur noch ein paar Meter von der Stelle entfernt war, wo sie gestern die tote Katze gefunden hatte, riss sie plötzlich etwas zurück. Sie hatte den Polizisten in Zivil nicht gesehen. Er war wie ein Schatten hinter der kahlen Eiche an der Friedhofsmauer aufgetaucht.
»Das ist kein Kinderspielplatz.«
Alice brauchte nicht nach Ausreden zu suchen. Sie hatte gesehen, was es zu sehen gab. Das tote Mädchen lehnte in einerdunklen Ecke zwischen Friedhofsmauer und Kirche. Sie
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