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Die Eistoten: Thriller (German Edition)

Die Eistoten: Thriller (German Edition)

Titel: Die Eistoten: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Buder
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Augen die Angst, schon zu Lebzeiten nirgendwo hinzugehören. Kurz bevor die Nacht hereinbrach, wankte die Welt, sie war für Minuten unbewohnbar. Wer sich nicht an seinem Haus, seinem Auto oder wie Großvater an seinem Werkzeugkasten festhielt, der wurde einfach weggerissen. Manchmal sprach Großvater sie an und nannte sie Gerlinde, Alices Großmutter. Er korrigierte sich sofort, machte aber weitereFehler. Fidus (der Name ihres Hundes, der vom Schneepflug überfahren worden war), Amalia, Hobbes … Alice hatte den Eindruck, dass der Kopf ihres Großvaters zerstoben war wie ein Sack Asche im Wind.
    Adelheid Grundinger war mindestens fünfzehn Jahre älter als ihr Großvater, der gerade mal seinen Achtzigsten gefeiert hatte, natürlich im »Schwarzen Bichl« in der erhabenen Gesellschaft des Musikvereins. Wie alt die Grundinger war, wusste wahrscheinlich keiner so genau. Das Melderegister hatten Bomben im letzten Krieg in brennende Schnipsel zerlegt. Zurück blieben Witwen und Kinder ohne Namen, die plötzlich für die neue Verwaltung aus dem Nichts aufgetaucht waren.
    »Lass mich meine Hand auf deine Schulter legen, Mädel. Der Weg ist im Winter schwer zu gehen, besonders wenn man so krumme Haxen hat wie ich.«
    Sie kamen am Gruberhof vorbei. Die Alte blieb kurz stehen und rief über die schneebedeckten Schrotthügel: »Was hackst du denn im Winter im Garten?«
    Hinter einer rostigen Traktorruine tauchte Grubers Schädel auf. Roter Kopf, die Augenbrauen und der Oberlippenbart weiß und gefroren.
    »Ich begrab meinen Hund.«
    »Schlimme Sache, das mit deinem Hund.«
    Die Spitzhacke schlug Funken auf dem eisigen Boden. Er brach große Stücke aus der Erde.
    »Ich hätte ihn auch zum Abdecker tun können. Der entsorgt ihn. Aber als er mir sagte, dass er ihn entsorgt, hat es mir dann doch nicht gefallen. Der Hund hat hier gelebt, dann soll er auch hier begraben werden. Ich will auch nicht entsorgt werden.«
    »Wenn du die Wahl hast, Gruber«, antwortete sie, wobei sie kicherte. Es konnte aber auch ein Hüsteln gewesen sein. Sie warenauf der vereisten Brücke über den Bach, als die alte Frau stehen blieb.
    »Alice, es wird etwas Fürchterliches geschehen. Die Eistoten kehren immer wieder.«
    »Was für Eistote?«
    »Leute sind einfach verschwunden, im Winter, immer an Weihnachten, und sind dann ein paar Tage später wieder aufgetaucht. Hart gefroren und alle mit offenen Augen. Sie haben alle die Augen sperrangelweit offen und schauen dir direkt in die Seele.«
    »Sie wurden ermordet«, stellte Alice fest und wunderte sich, dass die alte Frau keinerlei Regung zeigte. Nur ihre struppigen Augenbrauen zuckten.
    »Sie sind tot, das ist alles. Mehr wusste man nie. Der Gangerl hat sie geholt. Der holt jeden. Und wer den Gangerl leibhaftig sieht, der stirbt auf der Stelle, und zwar so schnell, dass er die Augen nicht mehr zumachen kann.«
    »Aberglaube«, sagte Alice.
    »Es gibt noch mehr zwischen Himmel und Erde, was wir nicht verstehen können. Du bist noch jung. Eines Tages wirst du an meine Worte denken.«
    Alice nickte. Sie blickte sich um, ob Wittgenstein nicht in der Nähe war. Doch so viel Aberglauben schreckte ihn nur ab.
    »Bis ich so alt bin«, sagte Alice, »verlasse ich mich auf Logik.«
    »Wenn du so alt wirst …« Adelheid Grundinger kicherte.
    Alice ahnte, dass sie mit Logik nicht weiterkam. Der Gangerl war eine alte Sagengestalt, die ihr Großvater auch hin und wieder verwendete. Manche gebrauchten den Gangerl als Tod oder Sensenmann, andere sahen in ihm den Teufel. Für die Grundinger war der Gangerl nicht der Leibhaftige, sondern der Gangerl war leibhaftig. Eine Person mit Namen und Personalausweis …
    »Wer ist denn der Gangerl?«
    »Das wirst du schon noch erfahren, wenn es so weit ist.«
    »Ist es einer aus dem Dorf?«
    »Er geht um, bis die große Kälte vorbei ist … Ich muss gehen. Mein Alois kommt bald.«
    »Dein Alois, der nicht mehr aus dem Krieg zurückkam?«
    »Warten lohnt sich, Treue lohnt sich, Liebe ist ewig. Dem Herrn sei’s gedankt.«
    »Aber der müsste doch schon mindestens über hundert Jahre alt sein?«
    »Er hat lange gebraucht, bis er mich gefunden hat, und es war ein weiter Weg von Russland bis nach Hintereck.«
    Sie lächelte wie ein Kind, das ein Geschenk auspackte, und zog einen Briefumschlag aus ihrem Mantel. Zittrig faltete sie ihn auseinander. Sie atmete schwer. Tränen rannen über ihre Wangen. Sie verfingen sich in den faltigen Augenrändern und gefroren auf der ledrigen

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