Die Eistoten: Thriller (German Edition)
mich allergisch. Vor allem wenn meine eigenen Kinder mir ins Gesicht lügen.«
»Ich habe dich nicht angelogen.«
»Wenn du tatsächlich eine Leiche im Wald gefunden hast, wie kommt sie dann vor die Kirche?«
»Der Mörder hat sie zur Kirche gebracht.«
»Warum sollte er das tun? Wer setzt sich schon der Gefahr aus, die Leiche vom Wald zur Kirche zu bringen und dabei noch gesehen zu werden?«
»Das war jemand, der sich bestens in Hintereck auskennt.«
Ihr Vater schüttelte nur den Kopf.
»Er hat es in der Nacht gemacht. Im Sturm. Da war kein Mensch vor der Tür«, fügte Alice hinzu, »nur hatte der Mörder nicht damit gerechnet, dass Adelheid Grundinger jede Nacht am Fenster stand und nach ihrem Alois Ausschau hielt. Er hatte nicht damit gerechnet, dass ihn die alte Frau sah. Erst recht hatte er nicht damit gerechnet, dass sie ihn für ihren gefallenen Mann hielt, der verjüngt zurückkam. Deshalb hat er sie beseitigt.«
»Und warum sollte er dich aus dem Weg räumen, dein vermeintlicher Mörder?«
»Weil ich und Tom die Einzigen waren, die wussten, dass die Eistote das Werk eines kaltblütigen Mörders war und kein Unfall. Niemand durfte wissen, dass hier keine göttliche Fügung am Werk war, sondern die Hand eines Mörders.«
»Und wenn all dies nur dem Kopf eines elfjährigen Mädchens entsprungen ist, das zu viel über Kriminalistik liest und Bücher, die sie noch gar nicht versteht …«
»Hör auf, mir zu sagen, was ich verstehe und was nicht …«
»Ich bin am Ende mit meinem Latein, Alice. Was soll ich nur mit dir machen? Du musst immer das letzte Wort haben.«
»Aber hast du schon einmal eine Tote gesehen, die am Herzinfarkt gestorben ist und die gemütlich ihre Arme vor der Brust verschränkt hat?«
»Ich bin kein Mediziner. Es ist mir auch egal, woran die alte Grundinger gestorben ist. Sie war alt, da kann jeder Tag der letzte sein.«
»Nur hier hat jemand nachgeholfen. Schau dir ihre Haltung an …«
»Nein, und wenn du in zwei Minuten nicht verduftet bist, dann bringe ich dich persönlich nach Hause und sperre dich in deinem Zimmer ein.«
Alice ließ ihre Arme sinken. Es war aussichtslos. Doch plötzlich bekam sie unerwartet Hilfe von dem Beamten in Uniform. Er hatte alles mit angehört, ein wenig peinlich berührt.
»Da ist was dran, Mati«, sagte der Strafzettelverteiler, wie ihr Vater abfällig die jungen Polizisten nannte.
»Ich habe noch nie eine Herzinfarkttote gesehen, die ihre Arme verschränkt hat und ganz entspannt dasitzt.«
»Wer weiß, vielleicht hat sie einen entspannten Infarkt gehabt, oder sie war ganz froh darüber, dass sie stirbt. Bei so alten Leuten kann keiner in den Kopf sehen. Wir werden deswegen keinen Zwergenaufstand veranstalten.«
Der junge Uniformierte nickte. Alice sah ihm aber an, dass sich Zweifel in ihm festgesetzt hatten. Die Sanitäter schlossen die Tür des Rettungswagens. Für eine Sekunde rutschte die Decke von Adelheid Grundingers Gesicht. Ihre toten Augen starrten sie an. Es war nicht Alois, nicht Alois … Es holt dich auch! Hatte die Alte gekichert, aus ihrem halboffenen Mund mit weißen Lippen? Ein Kichern aus einem zu Eis erstarrten Körper. Nein, Adelheid Grundinger war hinüber und tot …
Die Sanitäter stiegen ein. Der Rettungswagen schlitterte auf der dichten Schneedecke davon. Auf der Bank vor Grundingers Haus kreuzten sich ein paar Sonnenstrahlen. Vereinzelte Schneeflocken tanzten im Licht wie ungeübte Tänzer. Doch das war nicht das Einzige, was Alice dort sah. Der weiße Clown saß auf der Bank, die Beine übereinandergeschlagen. Er grinste sie an, und unter seinen roten Lippen blitzten weiße Eckzähne. Alice, du hast zu viel gelesen. Das ist nur Einbildung. Du siehstdie eigene Angst. Du selbst sitzt auf der Bank. Die Vampirromane Lehmkos hatten dem Clown seine Gestalt gegeben, doch was war hinter der Maske? Wie sah das aus, was sie nur als Clown erkannte? Mit einem Mal lachte der Clown laut. Jeder hätte ihn hören müssen, so aufdringlich und eisig war sein Lachen. Doch keiner hörte sein Lachen. Aus dem Lachen vernahm Alice ein Wort:
BALD.
Mit den nächsten Wolken verschwanden die Sonnenstrahlen, und auch der Clown löste sich auf wie ein Spiegelbild im Wasser. Graues Licht dämpfte wieder jeden Winkel.
»Ich werde dich jetzt nach Hause bringen«, sagte ihr Vater.
Alice schüttelte ihren Kopf. »Ich laufe lieber. Danke.«
»Es tut mir leid, Alice, ich wollte nicht …«
»Das ist der zweite Tote in Hintereck, und
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