Die Elben - 02 - Die Könige der Elben
genug bei uns lebte, sodass schon das Gerücht umging, er wäre kein Fremder, sondern ein missgestalteter, zu groß geratener Halbling. Wir nennen so etwas auch einen Doppelung. Das kommt höchst selten mal vor, und früher dachte man immer, dies wäre ein Fluch der Großen Teufel, später kam die Ansicht auf, es handele sich um Gunstverweigerung der Großen Götter, aber für die armen Eltern eines solchen Riesen kommt es aufs selbe hinaus.«
Große Götter und Große Teufel – die Halblinge waren selbst klein und schienen daher alles anzubeten oder zu fürchten, was groß war. »Hatte dieser Reisende auch einen Namen?«, hakte der Elbenkönig nach und unterbrach damit den abschweifenden Erzählfluss Jay Kanjids.
»Er hieß Lirandil«, antwortete der Halbling aus Osterde. »Er selbst nannte sich Lirandil der Fährtensucher, aber bei uns wurde er nur Lirandil der Weise genannt.«
Lirandil…
Der Name hallte in Keandirs Kopf wieder. Wie lange hatte der Elbenkönig vergeblich auf die Rückkehr dieses weitgereisten Elben gewartet, damit er neue Kunde über die noch unerforschten Teile des Zwischenlands brachte und vielleicht einen Hinweis auf den Verbleib der Elbensteine.
Es war das erste Mal seit Langem, dass man wenigstens etwas über ihn hörte.
Jay setzte sich zu den Elben ans Feuer und musste weiter von dem berichten, was er gehört oder gesehen hatte. Demnach hatte Lirandil das Land Osterde vor einigen Jahren verlassen, und niemand wusste, wohin er gegangen war. Manche vermuteten ihn in den unwegsamen Schluchten von Hocherde, andere glaubten, dass er über Maduan in das geheimnisvolle Reich der Whanur gelangt war, über das kaum etwas bekannt war.
»Was ist Eure persönliche Ansicht dazu, wo Lirandil abgeblieben sein könnte?«, fragte Keandir den Halbling.
»Schließlich scheint Ihr doch in näherer Verbindung gestanden zu haben, wenn er Euch die Elbensprache beibrachte.«
»Nun, eines Tages überfiel eine Bande von Gnomen die ostirdische Stadt Saru. An sich ist das nichts Besonderes, aber diese Gnome hatten sechs Finger an jeder Hand, was normalerweise bei Gnomen nicht der Fall ist. Zumindest nicht bei jenen, die in Hocherde siedeln. Lirandil interessierte sich sehr dafür, wie ihn überhaupt alles zu faszinieren schien, was mit dem Volk der Sechs Finger und dem uralten Dunklen Reich und seinem Herrscher Xaror in Zusammenhang stand.
Und so erzählte ich ihm die Legende, wie es dazu kam, dass Gnome in unseren Tagen normalerweise nur fünf Finger haben
– so wie alle jüngeren Völker: Halblinge, Kleinlinge, Blaulinge, Elben und selbst die Menschen haben fünf Finger an jeder Hand, was übrigens die einstmals sehr populäre These widerlegt, dass die Fünffingrigkeit ein Zeichen der Zivilisiertheit wäre; was die Rhagar unserem Volk während der Herrschaft des Eisenfürsten antaten, lässt selbst uns Nachgeborene noch erschaudern…«
»Was berichtet diese Legende?«, fragte Keandir.
»Ich schweife wieder ab«, erkannte Jay Kanjid, »und mir ist nicht entgangen, dass Ihr das nicht schätzt, König Keandir –
auch wenn Ihr Euren Unmut gut unter Kontrolle habt, was man nicht von jedem Eurer Männer sagen kann.« Er warf Thamandor einen kurzen Blick zu, bevor er fortfuhr: »Die Legende, die ich Lirandil berichtete, lautet so: Die Gnome waren immer die Diener des Schattenherrschers Xaror und dienten ihm treu – so wie die Trorks und noch manch andere Rasse, die es später nicht mehr wahrhaben wollte oder die es heute gar nicht mehr gibt. Eines Tages, nach dem Ende des Dunklen Reichs, wollte ein Gnomenkönig ein Zeichen dafür setzen, dass eine neue Zeit begonnen habe. Da die Gnome von jenen Völkern gemieden wurden, die unter dem Dunklen Reich Xarors hatten leiden müssen, und außerdem die Verwandtschaft zum Volk der Sechs Finger so augenfällig war, wollte er diesen Makel tilgen. Er beauftragte einen mächtigen Magier, einen mächtigen Trank zu entwickeln, der bewirken sollte, dass fortan nur noch Gnome mit fünf Fingern an jeder Hand – und übrigens auch fünf Zehen an jedem Fuß –
gezeugt würden. Ein königlicher Befehl sorgte dafür, dass alle Untertanen dazu gezwungen wurden, diesen Trank einzunehmen, damit innerhalb einer Generation der Makel der Sechsfingrigkeit getilgt wäre. Zunächst wurde dieser Trank nur von den Gnomen der Hauptstadt Rhô eingenommen, später im ganzen Land Hocherde, wo immer die königlichen Trunk-Eintrichterer die Untertanen zu fassen kriegten…«
»Lasst mich
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