Die Elben - 02 - Die Könige der Elben
habe das Gefühl, in diesen Mauern meine Zeit zu verschwenden.«
»Dann halte dir vor Augen, dass du genug davon hast und es dir leisten kannst, verschwenderisch damit umzugehen«, riet sie ihm. »Und im Übrigen glaube ich, dass du bei näherem Hinsehen zu der Erkenntnis gelangen wirst, dass deine Zeit in Elbenhaven keineswegs verschwendet ist.«
»So?«
»Du und Andir – ihr wart und seid die Symbole der Hoffnung für unser Volk. In einer Zeit, als wir geistig am Boden lagen und der Lebensüberdruss auf eine heute nicht mehr gekannte Weise grassierte, war es eure Geburt, die vielen Elben die Kraft und den Mut gab, sich am Aufbau des neuen Elbenreichs zu beteiligen.«
»Das mag ja sein, Mutter…«
»Und daraus ergeben sich Verpflichtungen, Magolas.
Niemand von uns, die wir im engeren Sinn zum Haus des Königs gehören, kann etwas tun, ohne dass dies unmittelbare Auswirkungen hat, die weit über das eigene Leben hinausgehen. Unsere Handlungen und unsere Unterlassungen wirken sich immer auch auf das Schicksal des Elbenreichs aus, ob wir es nun wollen oder nicht. Das gilt für deinen Vater ebenso wie für mich oder dich.«
Magolas hob die Augenbrauen. »Und Andir?«, fragte er, wobei seine Stimme eine Schärfe bekam, die er seiner Mutter Ruwen gegenüber bisher nur äußerst selten hatte erkennbar werden lassen. »Habt Ihr ihn bewusst in dieser Aufzählung ausgelassen?«
»Magolas…«
»Dass Ihr Euren erstgeborenen Sohn vergessen habt, will ich nicht glauben, Mutter.«
»Andir ist ein anderer Fall«, sagte Ruwen mit einer leicht belegten Stimme. Dieser Tonfall war selbst für Magolas bei seiner Mutter schwer zu deuten. Aber dass er eine melancholische Note enthielt, war für den Königssohn unverkennbar.
»Ihr wollt nicht darüber sprechen?«, fragte er.
»Magolas, ich mache mir Sorgen um dich, nicht um Andir.
Denn ich spüre, dass eine große Last auf deiner Seele liegt.
Vielleicht war es ein Fehler von Keandir, dass er dich nicht mit nach Nordbergen genommen hat. Aber andererseits solltest du auch Verständnis dafür haben, dass wir immer die Interessen des Reiches zu beachten haben.«
»Andir hat es vielleicht richtig gemacht«, sagte Magolas düster. »Er hat sich diesen Verpflichtungen entzogen. Er hat vor der Verantwortung für das Reich der Elben im Reich des Geistes Zuflucht gesucht.«
»Du denkst daran, dich in die Einsamkeit zurückzuziehen, Magolas?«, fragte Ruwen erschrocken. »Das kann unmöglich dein Ernst sein!«
»Nicht in die Einsamkeit…« Magolas sprach zunächst nicht weiter. Er wich dem Blick seiner Mutter aus und atmete tief durch. »Das Reich des Geistes ist nicht mein Reich, Mutter.
Aber ich bin mir inzwischen nicht mehr sicher, ob ich das nicht auch von Elbiana sagen könnte.«
Ruwen gelang es nur mit Mühe, die Fassung zu bewahren.
Die Worte ihres Sohnes erschütterten sie bis ins Mark. Sie spürte die Ernsthaftigkeit, mit der Magolas diese Worte ausgesprochen hatte. Der Gedanke, dass das Reich seines Vaters nicht auch seines war, musste schon lange an ihm nagen.
»Seit wann beschäftigt dich dieser Gedanke, mein Sohn?«, fragte sie.
»Schon sehr lange.« Er wandte den Kopf, sah sie wieder an.
»Ich möchte mein Leben nicht als Stellvertreter und Kronprinz verbringen und meine ganze Existenz einer Sache widmen, die vielleicht nicht die meine ist. Versteht mich nicht falsch, ich bewundere meinen Vater für das, was er geleistet hat. Niemand anders wäre wohl dazu imstande gewesen. Das Reich der Elben verdankt ihm die Existenz – doch dieses Reich wird er beherrschen wollen, bis ihm die Kräfte schwinden, und es niemals freiwillig loslassen. Das kann man auch nicht erwarten. Dazu hat er zu viel dafür eingesetzt.«
»Magolas, du darfst ihm nicht auch noch den Rücken kehren.«
»Hat Andir ihm den Rücken gekehrt? Empfindet der König das so?«
»Er hat es nie ausgesprochen, weder ihm noch mir gegenüber. Aber ich bin mir sicher, dass Keandir so empfindet.
Was Andir betrifft, hat er es wohl seit Langem geahnt. Dein Bruder hat schließlich kaum noch an den Zusammenkünften des Kronrats teilgenommen, und dadurch wurden ihm die täglichen Belange des Reiches mehr und mehr fremd. Es war eine schleichende Desertion in die Gefilde des Geistes, Magolas. Vielleicht war das nicht aufzuhalten, aber ich bitte dich, lass nicht zu, dass mit dir etwas Ähnliches geschieht.
Dein Platz ist hier, auch wenn du im Moment daran zweifeln magst.«
Zunächst nickte Magolas, um zu
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