Die Elben - 02 - Die Könige der Elben
Euch dieser Gedanke denn so abwegig, werter Prinz Magolas?
Als ich in Candor am Hof von Herzog Branagorn weilte, traf dort ein aratanisches Botschafterschiff ein, und der Abgesandte der Aratanier unterbreitete uns genau diesen Vorschlag: Die Elben sollen helfen, die kaiserlichen Truppen der Südwestlande unter Kontrolle zu halten, beziehungsweise wenn möglich sie sogar aus Norien zu vertreiben.«
Einige Augenblicke lang herrschte Schweigen. Magolas erhob sich von seinem Platz und ging unruhig auf und ab.
Königin Ruwen blieb nahezu regungslos sitzen. Die ganze Zeit über hatte sie nicht nur aufmerksam den Worten Prinz Sandrilas’ gelauscht, sondern auch jede noch so feine Regung in seinem Gesicht registriert. Ebenso wie ihren Gemahl kannte sie Sandrilas schon von Kindesbeinen an. Sie glaubte daher zu wissen, welche Meinung Sandrilas zu dem von den Arataniern unterbreiteten Vorschlag vertrat. »Ihr seid tatsächlich dafür, die Rhagar von Aratan zu unterstützen«, sagte sie im Tonfall einer Feststellung, nicht einer Frage.
Prinz Sandrilas hob die Schultern. »Ich wäge Vor- und Nachteile ab und sehe ein deutliches Übergewicht der Vorteile.
Ich weiß, es mutet seltsam an, wenn ausgerechnet jemand wie ich, der vor Kurzem noch einen Präventivkrieg gegen die Rhagar von Aratan befürwortete, jetzt ein Bündnis mit ihnen für erstrebenswert hält.«
»Nun, den Gedanken an einen Präventivkrieg habt Ihr zuletzt, so glaube ich, vor einem halben Jahrhundert geäußert«, sagte Königin Ruwen. »Seine Meinung in einer solchen Zeitspanne zu ändern, wird niemand für übermäßigen Opportunismus halten.«
Prinz Sandrilas’ Lächeln wurde breiter. »Und selbst, wenn es so wäre! Ihr wisst, dass mich die Meinung anderer niemals daran hindern würde, das zu sagen, was ich denke, auch wenn ich damit dem, was ich noch vor Kurzem für die einzige Wahrheit hielt, auf das Heftigste widerspreche.«
Magolas war stehen geblieben. Er drehte sich auf dem Absatz um, wandte sich Sandrilas zu, und der Blick des Königssohns schien den Befehlshaber des Elbenheers für einen Moment regelrecht zu durchbohren. »Wie weit würdet Ihr bei dieser Unterstützung, die Euch offenbar vorschwebt, gehen, Prinz Sandrilas?«
»Ich denke, dass wir um den Einsatz eigener Truppen nicht herumkämen. Aber fünfzig Einhandarmbrustschützen dürften in der Lage sein, die Truppen des Kaisers der Südwestlande in die Flucht zu schlagen, wenn es zu einer direkten Begegnung käme. Dazu bräuchten wir natürlich Unterstützungstruppen, bestehend aus sowohl Elben als auch aus elbareanischen und nuranischen Rhagar. Die Aratanier würden selbstredend auch ihren Teil beitragen – für sie geht es ja schließlich um die Existenz und Unabhängigkeit ihres Reiches. Meinem Dafürhalten nach dürfte es keine Schwierigkeiten dabei geben, die südwestländischen Truppen wieder aus Norien hinauszuwerfen, vorausgesetzt wir zögern nicht allzu lange.«
»Warum ist dieser Punkt so wichtig?«, erkundigte sich Magolas.
»Wenn sich die Invasoren erst einmal festgesetzt haben, wird es schwer, sie wieder zu verjagen. Im Übrigen könnte es sein, dass sie die Gunst der Stunde nutzen und den wankenden Thron des aratanischen Königs zum Einsturz bringen. Und dann haben wir eine Situation, die uns nicht recht sein kann: ein starkes, geeintes Rhagar-Reich an unserer Südgrenze.«
»Stattdessen wollt Ihr das Reich von Aratan stabilisieren«, stellte Magolas fest.
Sandrilas nickte. »Wenn Norien zurückerobert ist, bildet der Gebirgszug im Norden der Südwestlande eine natürliche Grenze, die verhältnismäßig leicht zu verteidigen ist. Davon abgesehen wird uns der König von Aratan – beziehungsweise seine Nachfolger – für lange Zeit sehr dankbar sein, da er genau weiß, dass seine Herrschaft von unserer Unterstützung abhängt. So werden aus den Arataniern auf lange Sicht treue Vasallen.«
»Was bedeutet ›auf lange Sicht‹?«, fragte Ruwen. »Meint Ihr damit die Sicht der Rhagar? Ihr Leben ist so kurz, dass man sich immer wieder erneut ihrer Gefolgschaft versichern muss.«
»Aber dafür würden wir unsere Südgrenze nicht mehr an der Mauer von Aratan, sondern viele hundert Meilen südlich davon, am Nordgebirge der Südwestlande verteidigen. Was auch immer geschehen mag, das Elbenreich wäre sicherer.«
Wieder herrschte einige Augenblicke lang Schweigen. »So etwas kann nicht entschieden werden, bevor der König zurückgekehrt ist«, sagte Ruwen schließlich. »Ein
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