Die Elben - 02 - Die Könige der Elben
Mutter.«
Ruwen lächelte. Und die tiefe Liebe, die sie nach wie vor für Keandir empfand, leuchtete in diesem Lächeln auf. »Ich will dir sagen, wie es wirklich war, Magolas. Ich will dir sagen, was ich damals niemandem gegenüber zu äußern gewagt hätte, weil man mich dann nicht nur für leichtsinnig, sondern schlicht für verrückt gehalten hätte: In Wahrheit wusste ich bereits in diesem ersten Moment, als mir Keandirs Blick begegnete, dass wir füreinander bestimmt sind. Ich brauchte nicht eine halbe Jahrhunderthälfte, um mich zu entscheiden, denn das hatte ich längst. Ich brauchte diese Zeit, um mir gegenüber einzugestehen, dass ich mich längst entschieden hatte.«
In diesem Moment ging ein Ruck durch Ruwen – in der Ferne war ein Segel aufgetaucht, und im ersten Moment, als sie es sah, dachte sie, dass es vielleicht Keandirs Schiff war, mit dem der König von seiner langen Mission zurückkehrte.
Magolas hatte das Schiff ebenfalls entdeckt. Der Königssohn verengte etwas die Augen und konzentrierte sich. Ja, auf den ersten Blick hätte man es für ein Elbenschiff halten können, da es deren charakteristische Bauweise aufwies, aber wenn man genauer hinsah, konnte das geübte Auge eines Elben, war dieser in der Schiffsbaukunst einigermaßen bewandert, sofort erkennen, dass die Konstruktion und einige markante Merkmale nur kopiert worden waren, und dies in recht grober Weise.
»Das ist kein Elbenschiff«, stellte Magolas stirnrunzelnd fest.
Er trat an die Zinnen des Turms und versuchte weitere Einzelheiten zu erkennen.
»Sind es Rhagar-Piraten?«, fragte Ruwen. Hin und wieder hatte es Probleme gegeben mit Piraten aus dem Reich des Seekönigs, aber da sie der elbischen Marine weit unterlegen waren, trauten sie sich zumindest an die elbianitische Küste nicht mehr heran.
Magolas schüttelte den Kopf. »Wenn mich nicht alles täuscht, ist auf dem Segel… das Wappen des Königs von Aratan zu sehen…« Die letzten Worte murmelte er nur noch, denn er war sicher, genau dies schon einmal in einem Traum erlebt zu haben.
»Es scheint, als wollten die Rhagar aus Aratan ihrem Wunsch nach einem Bündnis mit uns Nachdruck verleihen«, sagte Ruwen.
Magolas zuckte mit den Schultern. »Solange sie das auf diplomatische Weise tun, ist nichts dagegen einzuwenden.«
Vor Magolas’ innerem Auge erschien das Gesicht einer jungen Frau mit dunklen Haaren und meergrünen Augen. Ein Name fiel ihm ein.
Larana…
Wie oft schon hatte er von diesem Gesicht geträumt! Immer wieder. Er konnte sich nicht mehr erinnern, wann es das erste Mal gewesen war, und er hatte nie weiter darüber nachgedacht.
Dieses Gesicht, dem er in seiner Fantasie den Namen »Larana«
gegeben hatte, war wie die Summe all der glutäugigen Menschenfrauen-Gesichter, derer er bisher ansichtig geworden war, gleichgültig, ob es nun Rhagar-Frauen oder Tagoräerinnen gewesen waren.
Das Schiff näherte sich weiter, und da Ruwen und Magolas es frühzeitig vom Turm aus identifiziert hatten, war es möglich, am Kai von Elbenhaven einen gebührenden Empfang zu organisieren. Ganz gleich, ob es sich nun tatsächlich um den König von Aratan höchstpersönlich oder nur einen seiner Botschafter handelte, der sich auf den weiten Weg gen Norden gemacht hatte – einem potenziellen Verbündeten sollte der gebührende Respekt erwiesen werden.
Um eine ordentliche Zusammenkunft des Kronrates einzuberufen, war allerdings keine Zeit mehr. Ruwen, Magolas und der einäugige Prinz Sandrilas trafen nur kurz im Hauptsaal des Palas aufeinander, wo man nicht ungestört reden konnte, denn ein Heer von Bediensteten war damit beschäftigt, Vorbereitungen für ein Bankett zu treffen. Küchenmeister Bisandir eilte wie ein aufgescheuchtes Huhn durch die Räumlichkeiten des Palas und verbreitete noch ein zusätzliches Quantum an Hektik. All die elbische Gelassenheit, die ihn normalerweise auszeichnete, war von ihm abgefallen, da er nicht daran gewöhnt war, sich so plötzlich auf eine neue Situation einstellen zu müssen.
»Wir werden abwarten, was die Aratanier von uns wollen«, sagte Prinz Sandrilas. »Aber falls sich die Möglichkeit eines Bündnisses ergibt, sollten wir sie beim Schopfe packen.«
»Ja, vielleicht habt Ihr recht, Prinz Sandrilas«, gab Ruwen zu.
»Aber warten wir erst einmal ab.«
Ein Bote stürzte herein und meldete die Ankunft des fremden Schiffs im Hafen.
Magolas, Sandrilas und Ruwen eilten in den Hafen. Dazu waren inzwischen eigens drei schneeweiße
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