Die Elben - 02 - Die Könige der Elben
eine blutjunge Frau. Ein Tuch verdeckte ihr Haar, und sie hielt den Kopf gesenkt. Auch sie wurde vom Herold vorgestellt. »Dies ist Prinzessin Larana, die jüngste Tochter unseres Königs. Lang lebe die Prinzessin!«
Ein Wunsch, der in den Ohren eines Elben wie Hohn klang angesichts der geringen Lebenserwartung der Menschen. Ob jemand vierzig, sechzig oder gar hundert Jahre wurde, wie es in Einzelfällen bei den Menschen schon vorgekommen sein sollte – diese Zeitspannen lagen elbischen Maßstäben nach nahe am Nichts.
»Lang lebe die Prinzessin!« Dieser Ruf hallte dutzendfach in Magolas Kopf wider, und er erinnerte sich daran, dass dieser Ruf auch in seinen Träumen eine Rolle gespielt hatte, ohne dass es konkret hätte sagen können, welche. Doch als das Sonnenlicht in ihr Gesicht fiel und damit den Schatten unter ihrem Tuch erhellte, erschrak er beinahe.
Sie war es. Da war kein Zweifel möglich. Die Frau, die er in seinen Träumen gesehen hatte.
Hofmarschall Feasóndor – ein relativ junger Elbianiter, der diesen Posten noch nicht lange innehatte – stellte die Gastgeber vor. »Dies ist Prinz Magolas; er vertritt seinen Vater König Keandir, der auf einem Feldzug zur Verteidigung der nördlichen Herzogtümer unterwegs ist…«
Magolas nahm Laranas Hand. Ihrer beider Blicke verschmolzen für einen Moment miteinander. »Es freut mich, Euch zu begegnen, Prinz Magolas.«
Sie sprach in fast perfektem Elbisch. In den gebildeten Schichten Aratans war es durchaus üblich, diese Sprache zu lernen; es gab etwa eine Handvoll Elben, die sich als Sprachlehrer in Aratania oder Cadd verdingten.
»Und ich habe das Gefühl, Euch bereits seit langer Zeit zu kennen, Prinzessin Larana.«
Eine sanfte Röte überzog ihr feingeschnittenes Gesicht. Aber den Blick ihrer Augen senkte sie nicht. Das Feuer, das darin brannte, schlug Magolas vom ersten Augenblick an in den Bann. Was er in ihrem Blick sah, war eine Kraft, erschaffen aus dem unbedingten Willen, all das, was das Leben bieten konnte, in eine unglaublich kurze Zeitspanne hineinzuzwingen.
Mehr als ein Menschenleben lang habe ich auf dieser Burg mit Nichtstun und Warten verschwendet, dachte Magolas, oder mit düsteren Gedanken und dem Hader über mein Schicksal. Aber für diesen Moment hat sich all dies zweifellos gelohnt!
»Wollt Ihr meine Hand auch irgendwann wieder loslassen, werter Magolas?«
»Nicht so bald, ginge es nach mir.«
Sie schenkte ihm ein bezauberndes Lächeln, und in ihren Augen blitzte es auf eine Weise, die verriet, dass sie keineswegs eine primitive Barbarin war, sondern über Witz und Verstand verfügte. »Da ich weiß, dass der Zeitbegriff unter Euch Elben ein anderer ist als bei uns, muss ich wohl damit rechnen, noch hier von Euch festgehalten zu werden, wenn ich eine alte Frau bin!«
»Ich persönlich hätte nichts dagegen. Und da sich, wie Ihr richtig bemerkt habt, unser Zeitempfinden von Eurem erheblich unterscheidet, wäre das kaum mehr als ein in die Länge gezogener Augenblick, der keinesfalls ausreichen würde, um die Schönheit Eures Antlitzes zur Gänze zu erfassen.«
Ihr Gesicht wurde ernst; sie entzog ihm die Hand. »Von dieser Schönheit bliebe nach diesem in die Länge gezogenen Augenblick nicht mehr viel übrig. Ich glaube, es ist besser, Ihr beschränkt Eure Betrachtung meines Antlitzes auf einen kurzen Moment, wenn Ihr nicht restlos enttäuscht werden wollt!«
»Ich glaube, selbst das Alter könnte mir Euren Anblick nicht verderben, Larana.«
»Ihr seid ein Elb. Ein Lichtgott, wie man früher sagte und vielleicht irgendwann wieder sagen wird, falls sich Euer Reich dazu entschließen kann, das unsere zu retten. Und die Tatsache, dass Ihr ein Elb seid, heißt, dass Ihr gar nicht wisst, wovon Ihr redet, wenn Ihr über das Alter oder die Vergänglichkeit sprecht.«
Während des späteren Banketts saßen Larana und Magolas sich gegenüber, und der Königssohn bemerkte sehr wohl, dass sein Interesse an ihr keineswegs einseitig war; auch sie konnte den Blick kaum von Magolas wenden. Die wechselseitige Faszination war so deutlich zu spüren, dass selbst der über neunzigjährige König Baltok Krrn XIII. davon Notiz nahm und bereits die Stirn runzelte. Mochte der einst starke und kräftige Körper des aratanischen Königs auch nur noch ein Schatten seiner selbst sein, so ließen seine wachen Augen darauf schließen, dass sein Verstand nach wie vor von wacher Intelligenz und hoher Aufmerksamkeit war. Er war durchaus kein Greis, der
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