Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Elefanten Hannibals

Die Elefanten Hannibals

Titel: Die Elefanten Hannibals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Nemirowski
Vom Netzwerk:
deshalb müssen sie dieses scheußliche Zeug trinken.
    „Schau, sie bringen noch etwas!" Magon zeigte auf mehrere Krieger, die einen länglichen weißen Gegenstand herbeischleppten. Es war ein gewaltiger Tierschädel. In den Augenhöhlen hätte ein Menschenfuß Platz gehabt.
    „Das ist ja ein Elefant!" rief Magon. „Sieh dir den Stoßzahn an. Ein Elefant in den Alpen. Wie mag der hierhergekommen sein?"
    „Das ist nicht der Schädel eines Elefanten, sondern eines Mammuts", erklärte Dukarion lächelnd. „Auch in unserer Gegend gab es einstmals Riesentiere!"
    Hannibal stand schweigend daneben. Es grauste ihm vor dem gewaltigen Kopf mit den leeren Augenhöhlen. Was für Überraschungen würden ihm diese wilden Berge noch bringen?
    Am selben Tage erreichte das Heer den Fuß eines Steilhanges. Hannibal blickte hinauf. Gewaltige schwarze Felsbrocken hingen über dem Pfad. Mit jedem einzelnen hätte man hundert Krieger zermalmen können. Hinter den Felsbrocken spähten die bärtigen Bergbewohner hervor. Sie wirkten wie starke, gefährliche Raubtiere. Möglicherweise waren es die Einwohner eines ausgeraubten Dorfes oder ihre Nachbarn, die von dem Auftauchen der Fremdlinge aufgescheucht worden waren. Sie saßen in einer unangreifbaren Stellung und konnten dem ganzen Heer den Weg versperren.
    Hannibal mußte unbedingt erfahren, was sie im Schilde führten und wie lange sie sich in ihrem Adlerhorst aufhalten würden. 
    Dukarion meldete sich als Kundschafter. Er schlug einen weiten Bogen um den Berg und schlich in das Lager der Bergbewohner. In der Dunkelheit hielt man ihn für einen Krieger aus dem Nachbardorf, zumal er gallisch sprach. Er erfuhr, daß die Bergbewohner ihre Stellungen über Nacht verließen, sie aber bei Tagesanbruch wieder besetzten. 
    Das meldete er Hannibal, der in der folgenden Nacht viele Lagerfeuer anzünden ließ, um die Feinde zu täuschen, und gleichzeitig mit seinen besten Kriegern die Stellungen am Steilhang besetzte. Am nächsten Morgen zog das Heer dann ungehindert am Steilhang vorüber.
     
     
Unerwartete Rettung am Paß
     
    In der neunten Nacht erreichte Hannibal, der mit Dukarion und zwei Leibwächtern an der Spitze seines Heeres ritt, endlich den Paß. Finster ragten die Berge empor, vom Mondlicht beschienen. Ihre eisbedeckten Gipfel reckten sich in den Himmel. Hannibal hatte den Eindruck, als wollten sie bis zu den Sternen vorstoßen, wären aber auf halbem Wege erstarrt - stolz, majestätisch, gleichgültig gegenüber allem, was rings um sie geschah.
    Wie ein dunkler Strom zog das Heer langsam an den Felsenhängen vorüber und füllte die Schluchten mit Rufen, klatschenden Peitschenhieben, Pferdegewieher. Der scharfe Wind riß erbarmungslos an den Umhängen der Krieger und ließ ihre Gesichter, Hände, Rücken zu Eis erstarren. Die Pferde trotteten trübselig, mit gesenktem Kopf ihres Weges, aus ihren Nüstern drangen weiße Atemwolken.
    Hannibal sah dem Aufstieg seines Heeres zu, bis es die verschneite Fläche des Passes erreicht hatte.
    Als die ersten Sonnenstrahlen des neuen Tages auf die Straße fielen, die das Heer hinter sich gelassen hatte, sah Hannibal, daß sie von krepierten Pferden und zerbrochenen Fuhrwerken umsäumt war - wie von tönernen Spielsachen, die ein launenhaftes Kind fortgeworfen hat. 
    Dann wandte Hannibal sich um und blickte in die entgegengesetzte Richtung. Unwillkürlich schrie er auf. Vor ihm lag ein blühendes Land, von Wasserläufen durchschnitten. In der Ferne funkelte das sonnenbeschienene Meer wie ein blankgeputzter Bronzeschild. Italien! Ihn erregte die Nähe dieses Landes, das er noch nie gesehen, sich aber so oft ausgemalt hatte. Wie anders war Italien als die vertrauten afrikanischen Tiefebenen und iberischen Berge!

    „Hierher!" schrie er seinen Kriegern zu, die von der Kälte erstarrt, von der Erschöpfung wie gelähmt waren. „Seht, das ist Italien, unser Ziel, unsere Beute! Ich gebe es euch ganz - mit seinen Wäldern und Flüssen, mit seinen Städten und Dörfern!" 
    Und so herrlich war der Anblick dieses Landes, so greifbar nahe schien es zu liegen, daß alle am liebsten die Hände nach ihm ausgestreckt hätten, wie nach einem kunstvoll gemalten Bild, um mit den kältestarren Fingern die Leinwand und die leuchtenden Farben zu betasten. 
    Dann begann das Heer mit dem Abstieg. Der eisige Wind drang den Kriegern bis auf die Knochen. Die abschüssige Straße war mit Schneeresten bedeckt, in denen sie versanken. Die schweren Lasten

Weitere Kostenlose Bücher