Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Elefanten Hannibals

Die Elefanten Hannibals

Titel: Die Elefanten Hannibals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Nemirowski
Vom Netzwerk:
rutschten den Pferden auf den Hals. Die Straße führte in zahllosen Windungen über kahle, vereiste Felsen. Wer ausglitt, stürzte in den Abgrund. 

    Die Reiter sprangen aus dem Sattel, traten hinter ihre Pferde und hielten sie beim Weitergehen am Schwanz fest. Die Gebirgler, die dem Heer seit einigen Tagen ständig folgten, waren plötzlich verschwunden. Offenbar wollten sie die Vernichtung der Eindringlinge der Natur überlassen. Oder war diese Gegend sogar für die Einheimischen unpassierbar, nicht nur für ein Heer mit Reiterei und Elefanten? 
    Plötzlich blies der Hornist Alarm. Sein Signal wurde von wildem Kampfgeschrei übertönt. Die Gebirgler hatten das Heer auf Geheimpfaden umgangen und griffen es jetzt von vorn an.
    Das ist das Ende! dachte Hannibal. Nun werden die verschreckten Tiere in den Abgrund stürzen und die Menschen mit sich reißen, denn ich kann meine übrigen Krieger nicht dazu bringen, daß sie der Vorausabteilung zu Hilfe kommen. Die Angst vor dem glatten vereisten Pfad ist stärker als mein Befehl, stärker als die Stimme der Vernunft. 
    Ja, es ist aus.
    Aber seine Befürchtungen bewahrheiteten sich nicht. Es geschah etwas völlig Unerwartetes. Die Angreifer blieben wie versteinert stehen, wandten sich zur Flucht und jagten unter Zurücklassung ihrer Waffen davon, als wäre ihnen eine Schar von bösen Geistern auf den Fersen. 
    Verständnislos blickten die Krieger der karthagischen Vorausabteilung zurück. Was hatte die Gebirgler so erschreckt? Als sie den Grund erkannten, lachten sie schallend. Sie vergaßen Hunger, Kälte und Erschöpfung und bogen sich vor Vergnügen. Die Felsenwände warfen ihr Gelächter als unheimliches Echo zurück. Auch sie schienen zu lachen über diese Menschen, die zum erstenmal einen Elefanten gesehen hatten. 
    Die Elefanten! Hannibal empfand tiefe Dankbarkeit, ja Zärtlichkeit für die gewaltigen Tiere. Selbst hier in der Schneewüste retteten sie ihn vor dem Untergang. Die Elefanten - das war sein heißes, dunkles Afrika, das sich zum Kampf gegen das kalte, hochmütige Europa erhoben hatte. Die Elefanten - das war der Traum vom Sieg über Rom, den schon sein Vater geträumt hatte.
     
    Nach drei Tagen erreichte das Heer ein grünes Tal, das nach Süden hin weiter wurde. Klare Bäche plätscherten von den Bergen herab. Vor dem Pfahlzaun, der ein kleines Dorf umgab, standen graubärtige Greise in weißen Gewändern. Sie blickten den fremdartigen Ankömmlingen. auf ihre Stäbe gestützt, verwundert entgegen. Den Häusern dieses Tals war die wilde Feindseligkeit der Gebirgler fremd. Zusammen mit der Natur und dem Klima hatten sich offenbar auch die Menschen gewandelt und waren sanfter, gastfreundlicher geworden.
     
     
Rast im grünen Tal
     
    Wie Recken mit blendend weißen Helmen, schwarzen Panzern und grünen Umhängen standen die Berge majestätisch im Halbkreis da. Fünfzehn Tage lang war das Heer über ihre Hänge herabgestiegen. Sie hatten Steine und Schneelawinen von ihren Schultern geschüttelt, sie hatten Hindernisse aufgetürmt, Abgründe aufgerissen, den Kriegern die Wangen erfroren und ihnen mit dem grauenhaften Gefunkel ihrer Eisfelder die Augen geblendet. Wie schwach und hilflos waren die Menschen im Kampf gegen diese unerbittlichen Giganten gewesen! Dennoch hatte ihre Ausdauer gesiegt. Die Berge hatten ihnen Platz gemacht und sie widerstrebend durchgelassen. Jetzt schienen sie mit herablassendem Lächeln zu fragen: Na, ihr Ameisen, sind noch viel von euch übrig? 
    Hörnerschall riß Hannibal aus seinen Gedanken. Das Heer war angetreten. Heute hatte er zum erstenmal seit vielen Monaten einen Appell angesetzt, einen Namensaufruf der noch Lebenden. 
    An der linken Flanke standen die Iberer, in die Fetzen ihrer rotwollenen Umhänge gehüllt. Das Haar war ihnen unterwegs so lang gewachsen, daß es wie eine Löwenmähne auf ihre Schultern hing. Sie grüßten den Feldherrn, indem sie die mit Sehnen durchflochtenen kleinen Schilde erhoben.
    Daneben die Gallier, in knöchellange Hosen und leichte Überhemden gekleidet. Viele besaßen keinen Schild. Es waren nur noch etwa tausend Mann, obgleich sechstausend Gallier die Pyrenäen überquert hatten. Wo waren die übrigen geblieben? Gestorben oder geflüchtet? Bei den Gebirglern untergetaucht oder in ihre Heimat zurückgekehrt? Was veranlaßte die im Heer Verbliebenen, hier zu stehen? Beutehunger oder Pflichtbewußtsein?
    „Jetzt werden wir echten Wein in Hülle und Fülle trinken!" rief Hannibal

Weitere Kostenlose Bücher