Die Elefanten Hannibals
Rasiermesser ist unersetzlich."
„Deine Gedichte schneiden schärfer als jedes Rasiermesser!" rief ein Plebejer. „Du hast das hochmütige Patriziergeschlecht der Meteller so scharf mit ihnen rasiert, daß sich kein Meteller mehr in der Volksversammlung zu zeigen wagt!"
Das ist also der gefürchtete Gnaeus Naevius! dachte Publius. Seine beißenden Verse gegen die Meteller sind noch immer in aller Munde. Er blickte zur Bühne hinüber. Dort saß Achilles in seinem Zelt, von düsteren Todesahnungen gequält. Priamos, der greise Trojanerkönig, trat leidgebeugt ein, denn er hatte mitansehen müssen, wie Achilles seinen geliebten Sohn Hektor tötete, den Leichnam an seinen Streitwagen band und ihn dreimal um die Stadt Troja schleifte.
Sieger und Besiegter. Achilles und Priamos. Erbitterte Feinde. Aber beides Sterbliche. Der Greis kniete vor Achilles nieder, küßte dem Manne, der seinen Sohn umgebracht hatte, die Hand, um den Toten von ihm zu erflehen. Achilles stieß ihn nicht zurück. Er umarmte ihn und weinte mit ihm.
Noch in Jahrhunderten werden die Sänger den Sieg über die Feinde rühmen. Aber es gibt etwas Größeres als Heldentaten. Das ist die Menschlichkeit. Sie triumphiert über das Böse, das die Sterblichen einander zufügen, über Feindschaft und Rache, über die Grausamkeit der Götter und sogar über das Schicksal.
Das wurde dem jungen Publius klar, während er den Vorgängen auf der Bühne folgte.
„Verzeih", redete er den Mann an, der sich kurz zuvor neben ihn gesetzt hatte. „Ich hörte, daß du dich Gnaeus Naevius nennst. Würdest du mir deine Meinung über das Stück und die Kunst der Schauspieler sagen?"
„Sie spielen nicht gut!" rief Gnaeus Naevius. „Du hörst, daß dem Darsteller des Achilles die Stimme zittert und glaubst, das geschehe aus Mitleid mit dem unglücklichen Priamos, nicht wahr? Nein, vor Angst zittert ihm die Stimme! Der Sklave, der den Achilles spielt, fürchtet, daß die Zuschauer mit der Vorstellung unzufrieden sein könnten. In diesem Falle würde man ihn nämlich dermaßen verprügeln, daß er eine Woche lang nicht mehr sitzen kann. Die gleiche Angst haben auch die übrigen Schauspieler. Bei einem meiner Theaterstücke äußerten die Zuschauer so laut ihren Unwillen, daß der Aufsichtsbeamte befahl, die Vorstellung abzubrechen. Anschließend rissen die Liktoren den Schauspielern gleich auf der Bühne die Kleider vom Leibe und peitschten sie aus. Dieses Schauspiel gefiel den Zuschauern weit besser als das Stück. Sie gerieten vor Begeisterung ganz aus dem Häuschen."
„Du hast recht", erwiderte Publius. „Die Vorführung eines Faustkampfes geht den Römern über alles. Aber es ist doch die Aufgabe des Theaters, die Zuschauer zu erziehen. Die Griechen nannten es eine Schule für Erwachsene. Um das römische Volk zu belehren, brauchen wir Tragödien und Komödien, die aus seinem Leben gegriffen sind. Rom muß seine eigenen Dichter haben."
„Rom kann keine eigenen Dichter erwarten, solange es die Wahrheit nicht verträgt. Du kennst vermutlich die Komödien des Griechen Aristophanes. Er schrieb sie zu Lebzeiten des athenischen Politikers Kleon, der beim Volk große Achtung genoß. Bei der Uraufführung der Komödie ,Die Ritter' war Kleon zugegen, und in der Gestalt eines frechen Gerbers, der mit den schlimmsten Schimpfworten belegt wird, erkannte er sich wieder. Ganz Athen lachte über ihn. Doch was machte er mit Aristophanes? Ließ er ihn köpfen? Ins Gefängnis werfen? Nichts von alledem, im Gegenteil, er verlieh ihm einen Lorbeerkranz. Aus diesem Grunde hatte Athen einen Aristophanes und auch Tragödiendichter vom Range eines Euripides. Rom dagegen besitzt nur so einen Nachahmet wie den Livius Andronicus."
„Nein, Rom besitzt auch einen Gnaeus Naevius!" widersprach Publius, „und es liebt seine Gedichte. Jetzt erwartet es von ihm ein Poem über den Krieg gegen Hannibal."
„Über diesen Krieg soll mein Enkel schreiben."
„Dein Enkel?" wiederholte Publius verwundert. „Wie alt ist er denn?"
„Einen Monat. Er kam an dem Tag zur Welt, als ich ins Gefängnis geworfen wurde."
„Aber er weiß dann kaum mehr etwas von Hannibal und von den Schlachten, die er schlug! Auch die römischen Feldherren wird er nur noch vom Hörensagen kennen."
„Das bringt ihm nur Vorteile. Es ist ungefährlicher, über Vergangenes zu schreiben. Und noch besser ist es, die Werke der Griechen zu übersetzen. Allerdings muß man sich dabei vorsehen, daß sich ein
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