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Die Elefanten meines Bruders (German Edition)

Die Elefanten meines Bruders (German Edition)

Titel: Die Elefanten meines Bruders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Pöll
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eine geschlossene Frage, die Sie nur mit Ja oder Nein beantworten dürfen.“
    „Wer sagt das?“
    „Mein Deutschlehrer.“
    Jetzt hatte sie vermutlich Angst, dass ich meinem Deutschlehrer petzen könnte, dass meine Psychologin auf geschlossene Fragen falsche Antworten gibt.
    „Ich, weiß, was du meinst. Ganz sicher ist diese Frage nicht unerheblich und eine ganz wichtige. Wenn wir an den weltweiten Fleischkonsum denken und andie Nahrungsketten, die Bevölkerungsexplosion und unsere moralische Verantwortung.“
    „Ja oder Nein?“
    Sie machte aber keinerlei Anstalten, auf eine einfache Frage eine einfache Antwort zu geben und ich merkte, wie ich zappelig wurde und mein linkes Bein zu zucken anfing. Ich spürte, dass ich eine Störung im Stromkreis hatte. In meinem Inneren schmorten gerade ein paar Leitungen durch. SOS an Veganer. Stopp. Terrorarzt macht Kind irre. Stopp. Senden sie Hilfs-Untertasse. Stopp.
    Frau Dr. Müller-Nöllendorf machte mich völlig bsssssss. Ich stellte mir vor, dass die ersten Sicherungen herausflogen und mein Sprachmodul die erste Hälfte meines Wortschatzes vergessen hatte. Vielleicht fielen zuerst alle Tunwörter aus dem Speicher. Oder vergisst man zuerst die Adjektive? Frau Dr. Müller-Nöllendorf machte mich bsss bsssssssss. Mich machen alle krank, die meine Fragen nicht beantworten können und mich damit aus der Kurve fliegen lassen.
    Plötzlich war mir klar, dass sie eine Vegetarierin war. Sie hatte nicht das Gesicht eines Fleischfressers. Ich weiß nicht, wie ich darauf plötzlich kam. Es war eine Eingebung wie in einem Traum. Vielleicht war es ihr langer Hals. Sie hatte einen Hals so wie die Schwäne im Stadtpark. Und ihre Proportionen waren auch verschoben. Sie war ein wenig stämmig. Mona hätte dick gesagt. Und ich hatte Jurassic Parc gesehen und in der Folge stapelweise Bücher über Dinosaurier verschlungen. Plötzlich sah ich die Ähnlichkeit. Warum war mir das nicht schon längst aufgefallen?
    Vor mir saß nicht Frau Dr. Müller-Nöllendorf, sondern ein langhalsiges Iguanodon-Saurierweibchen. Ich konnte mir ganz genau vorstellen, wie sie ihren langen Hals plötzlich aus dem mannshohen Schilf reckte, mit einem riesigen Büschel im Maul und dann in der Kreidezeit herumschaute.
    Mein linker Fuß zuckte nun wie die Pfoten von Adrian, wenn er im Schlaf ein Reh jagte. Ich wollte, Mona wäre hier, dann könnte ich ihr das Iguanodon-Weibchen zeigen. Oder wenn ich wenigstens meinen Foto dabeihätte, könnte ich das Reptil zum Beweis fotografieren.
    „Was ist mit dir?“, fragte Frau Dr. Müller-Nöllendorf, die plötzlich neben meiner Liege stand.
    „Nichts“, log ich, während ich völlig die Kontrolle über mein zuckendes Bein verlor. Ich sprang von der Liege und rannte in unserem Therapieraum herum.
    Vegavegavegavegavegavegavegavegavegavegavegavegavegavegavegavegavegavegavegavegavegavegavegavegavegavegavegavegavegavegavegavegavegavegavegavegavegavegavegavegavegavegavegavegavegavegaveganer. Hunderttausend mal.
    „Heute ist es aber ganz besonders schlimm“, sagte sie.
    „Gut, dass ihr gekommen seid? Magst du dich setzen oder ist es dir lieber, wenn du den Rest der Stunde herumlaufen kannst?“
    „Sie sind Vegetarierin? Stimmt‘s?“
    „Wie kommst Du denn darauf?“
    „Weil Iguanodons auch…“
    Gerade noch rechtzeitig biss ich mir auf die Lippen. Man darf niemanden mit einem Iguanodon vergleichen. Nur bei Mona im Kinderzimmer. Aber nicht bei Frau Dr. Müller-Nöllendorf im Behandlungsraum. Dazu sind Erwachsene viel zu empfindlich. Die grübeln dann wochenlang, warum man so was sagt und werden dann schwermütig oder sogar depressiv. Oder hauen ihre Kinder.
    Sie hatte nichts gemerkt, lächelte gequält und sagte dann den rettenden Satz.
    „Ja, ich esse tatsächlich kein Fleisch. Erstaunlich, dass du darauf gekommen bist. Gut geraten.“
    „Wissen Sie, ob Alfred Hitchcock Veganer war?“
    Das wusste sie natürlich nicht. Auf die wichtigen Fragen haben Erwachsene nie eine Antwort. Frau Dr. Müller-Nöllendorf schaute auf ihre Uhr und sagte dann ganz vorwurfsvoll, dass die Stunde jetzt um sei und wir wegen dem Vegetarierthema zu nichts gekommen sind.
    Ich habe alles natürlich sofort brühwarm Mona erzählt. Sie hat sich total weggeworfen vor Lachen und seitdem nennen wir Frau Dr. Müller-Nöllendorf die Iguanodondame.
    Gehst Du zur Iguanodondame? Oder der Besuch der Iguanodondame. Wenn die Iguanodondame zweimal klingelt. Mona und ich haben einmal einen ganzen Nachmittag

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