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Die Elefanten meines Bruders (German Edition)

Die Elefanten meines Bruders (German Edition)

Titel: Die Elefanten meines Bruders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Pöll
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überfahren worden ist und wie ihn meine Mutter die Böschung raufgetragen hat. Aber da war mein Bruder schon tot. Ich habe die paar Minuten an diesem Abend abgespeichert wie in einem Film und kann in meinem Kopf darin vor- und zurückspulen und sogar auf manche Stellen hin zoomen. Ich weiß, dass Phillipp so friedlich ausgesehen hat, als ob er schläft. Aber er war ganz weiß im Gesicht, als ob ihm schlecht ist. Ich weiß sogar noch, an welcher Stelle die Blutflecken auf dem Mantel meiner Mutter gewesen sind. Aber jetzt trägt meine Mutter keine Mäntel mehr. Nur noch Anoraks.
    Dann wollte Frau Dr. Käfer plötzlich wissen, was mit den Zirkuskarten ist. Ich bin voll in Panik geraten, weil die Zirkuskarten doch das Geheimnis von mir und Phillipp sind und außer Mona keiner davon wissen darf. Aber sie hat gleich gesagt, dass sie das weiß, weil ich es im Tunnel gerufen habe. Etwas mit Zirkuskarten, die ich noch habe.
    Frau Dr. Käfer ist wie ein Polizeiinspektor, der einen Bankraub untersucht. Sie verhört bestimmt manchmal heimlich Leute, meine Mutter und meinen Vater zum Beispiel.
    „Sagen Sie mal, Herr Hoffmann, wissen Sie dies oder das, Ja oder Nein? Antworten sie nur mit Ja oder Nein?“
    Sie wusste nämlich, dass wir an dem Abend, als Phillipp gestorben ist, in den Zirkus zu den Elefanten gehen wollten. Das habe ich ihr nie erzählt. Das hatte sie bestimmt irgendwann aus meinen Eltern rausgequetscht und sich gemerkt wie ein Elefant.
    „Du hast die Zirkuskarten von euch beiden aufgehoben, stimmt’s?“
    Ich war plötzlich hellwach und habe Mr. Tinkles ganz unsanft von meinem Bauch geschubst. Er hat ganz böse gemaunzt und ist beleidigt davongezischt. Dann habe ich fieberhaft überlegt, was ich sagen soll, damit sie das mit den Karten nicht erfährt, aber es hat zu lange gedauert, und Frau Dr. Käfer sagte schon:
    „Also ja.“
    Eigentlich wollte ich sie anlügen und sagen, dass es keine Zirkuskarten gibt. Aber sie hat mich ganz komisch angeschaut mit diesem „Ich-weiß-es-doch-sowieso-schon“-Blick und plötzlich habe ich einfach „ja“ gesagt.
    „Gut“, sagte sie, „dann hätten wir es für heute.“

28
    Wir haben später nie wieder über die Zirkuskarten gesprochen, denn ich war überhaupt nur noch ein paar Mal bei Frau Dr. Käfer. Dann ist eines Tages plötzlich Serrano bei uns zu Besuch gekommen. Ich war schon so gesund, dass ich mein Jedi-Training wieder aufgenommen habe. Ich habe mich nämlich in Rekordzeit mit geschlossenen Augen den Gang entlang getastet. Bis zur Haustüre ohne einmal die Augen aufzumachen und zu schummeln. Bevor ichdort war, hat es noch mal geklingelt. Diesmal habe ich erraten, dass es Serrano war, weil sonst jeder, der zu uns kommt, weiß, dass ich blind zur Türe gehe. Deshalb klingelt auch keiner zweimal. Nur Serrano weiß das nicht. Das habe ich ihm auch gesagt und er hat geschmunzelt.
    Meine Eltern wussten, dass er kommt. Also sie haben nicht gesagt:
    „Oh, Herr Serrano, so eine Überraschung?“
    Oder so. Mir war ein bisschen mulmig, weil es das erste Mal war, dass wir uns nach dem U-Bahntunnel gesehen haben. Normalerweise sind Erwachsene so nachtragend wie Elefanten, aber Serrano nicht. Bestimmt hat ihn Marlies zur Schnecke gemacht, weil sie die U-Bahn im Tunnel wegen der Suche anhalten musste. Aber Serrano war gar nicht böse. Also er hat nicht grimmig geschaut oder so und kein Theater gemacht, weil ich durch den Tunnel davongelaufen bin und die Besichtigung durcheinander gebracht habe.
    Meine Mutter machte Crêpe Suzette zum Abendessen. Das ist so ein französisches Zeug, woman höllische Zahnschmerzen bekommt, wenn man ein Loch im Zahn hat. Weil es so süß ist. Es ist wie Pfannkuchen, nur dünner und mit ganz viel französischer Erdbeermarmelade. Ich habe meine Mutter gleich total belagert, weil ich wissen wollte, ob Frau Suzette die „Crêpe Suzette“ erfunden hat. Aber das wusste sie nicht. Und mein Vater wusste es auch nicht. Dann kam mir die Idee, ob es vielleicht sogar Herr Suzette gewesen ist. Oder Familie Suzette. Vielleicht hat sich auch ein Herr Müller den Namen ausgedacht, weil „Crêpe Müller“ so bescheuert klingt. Ich glaube mein Vater war ziemlich angepisst und hat gesagt, dass wir das heute nicht endgültig klären können. Mein Vater sagt manchmal so komische Sachen:
    „Das können wir heute nicht endgültig klären.“
    Er sagte nie „das weiß ich nicht“, sondern immer: „Das können wir heute nicht endgültig klären“.
    Aber

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