Die Elementare von Calderon
hing neben seinem Legionsschwert ein Köcher mit Pfeilen für die Jagd, außerdem hielt er den leichtesten seiner Bögen in der Hand.
Tavi blieb überrascht stehen. Dann breitete er die Hände aus, akzeptierte still, dass er erwischt worden war, und schenkte seinem Onkel ein schwaches Lächeln. »Woher hast du es ge wusst?«
Bernard erwiderte das Lächeln, wenn auch ein wenig argwöhnisch. »Faede hat dich gesehen, wie du gestern Abend besonders viel Wasser getrunken hast, nachdem du so spät zurückgekehrt bist, und er hat es mir erzählt. Ist ein alter Soldatentrick, damit man morgens früh aus dem Bett kommt.«
»Oh«, meinte Tavi.
»Ich habe die Herde gezählt«, fuhr Bernard fort. »Es scheint mir, da fehlen einige Tiere.«
»Ja, Onkel«, antwortete Tavi. Nervös fuhr er sich mit der Zunge über die Lippen. »Ich wollte sie jetzt holen.«
»Ich habe gedacht, das hättest du schon gestern Abend erledigt. Schließlich hast du auf der Tafel die Herde als vollzählig abgestrichen.«
Tavis Wangen wurden heiß, und er war froh, dass es noch dunkel war. »Gauner ist mit seinen Schafen und den Lämmern gestern Abend auf Wanderschaft gegangen, als ich versucht habe, die Südherde zu holen. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.«
Bernard schüttelte den Kopf. »Tavi, du weißt, wie wichtig der heutige Tag ist. Die anderen Wehrhöfer werden zur Wahrheitssuche kommen, und irgendwelche Ablenkungen kann ich mir nicht leisten.«
»Verzeih, Onkel. Warum bleibst du dann nicht hier? Ich kann Gauner allein suchen und zurückholen.«
»Mir gefällt es nicht, wenn du allein im Tal herumziehst, Tavi.«
»Irgendwann muss ich doch mal damit anfangen, Onkel. Solange du nicht planst, mich für den Rest meines Lebens zu begleiten.«
Bernard seufzte. »Deine Tante würde mich umbringen.«
Tavi biss die Zähne zusammen. »Ich schaffe das schon. Ich werde aufpassen, und bis Mittag bin ich wieder zurück.«
»Darum geht es nicht. Du solltest sie gestern Abend reinholen«, sagte Bernard. »Weshalb hast du es nicht getan?«
Tavi schluckte. »Hm. Ich hatte jemandem einen Gefallen versprochen. Deshalb habe ich es nicht mehr geschafft, ehe es dunkel geworden ist.«
Bernard seufzte abermals. »Bei den Krähen, Tavi. Ich dachte, du wärest im letzten Jahr ein wenig erwachsen geworden. Und hättest gelernt, deine Verantwortung endlich ernst zu nehmen.«
Plötzlich wurde Tavi flau im Magen. »Du wirst mir die Schafe nicht geben, oder?«
Bernard antwortete: »Ich habe nichts dagegen, dass du bekommst, was dir zusteht. Ich war sogar froh - ich bin froh, dir
dabei zu helfen, eine eigene Herde aufzubauen. Aber ich werde meine Tiere nicht einfach so mir nichts, dir nichts weggeben. Wenn du mir nicht beweist, dass du anständig für sie sorgen kannst, möchte ich sie dir auch nicht überlassen.«
»Ich würde sie doch nicht lange brauchen.«
»Vielleicht nicht. Aber eines der Prinzipien im Leben lautet eben: Man bekommt nichts geschenkt.«
»Aber, Onkel«, protestierte Tavi. »Das ist meine einzige Chance, etwas aus mir zu machen.«
Bernard schnaubte. »Das hättest du dir vielleicht etwas eher überlegen sollen, bevor du...« Er runzelte die Stirn. »Tavi, was war denn so viel wichtiger als die Herde?«
Tavis Gesicht wurde noch heißer. »Äh...«
Bernard zog die Augenbrauen hoch. »Ah, ich verstehe.«
»Du verstehst was?«
»Es gibt ein Mädchen.«
Tavi kniete sich hin und schnürte sich die Stiefel neu, um seine finstere Miene zu verstecken. »Warum sagst du so etwas?«
»Du bist ein fünfzehnjähriger Junge, Tavi. In dem Alter ist immer ein Mädchen im Spiel.«
»Nein, ist es nicht«, erklärte Tavi.
Bernard dachte einen Moment lang nach und zuckte schließlich mit den Schultern. »Wenn du mit mir darüber reden möchtest, sag Bescheid.« Er stieß sich von der Mauer ab, klemmte den Bogen zwischen die Knie, drückte ihn mit einer Hand zusammen und hängte die Sehne ein. »Wir sprechen später darüber, ob ich dir die Schafe schenke. Wo sollen wir Gauners Fährte aufnehmen, was meinst du?«
Tavi zog seine Lederschleuder aus dem Beutel und stopfte sich einige glatte Steine in die Tasche seiner Tunika. »Brutus müsste den Bock doch eigentlich finden?«
Bernard lächelte. »Hast du nicht gesagt, du würdest das allein schaffen?«
Nachdenklich rümpfte Tavi die Nase und blickte seinen Onkel stirnrunzelnd an. »Die Kälte ist im Anmarsch, und das wissen sie. Deshalb werden sie Immergrün suchen, zum Fressen und als Schutz
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