Die Elementare von Calderon
Pfeile auf und hoben ihre Bögen auf halbe Höhe. Angespannt warteten sie, und wegen des grellen Lichts hinter ihnen lagen ihre Augen im Schatten, was den Eindruck erweckte, als hätten sie keine Gesichter. Amara hörte nicht weit entfernt einen Soldaten tief Luft holen und seufzen, als werde er langsam ungeduldig und wünschte sich, die Sache möglichst schnell zu einem Ende zu bringen.
Ihr Herzschlag beschleunigte sich nochmals, und sie musste alle Konzentration aufbieten, damit ihr Atem nicht außer Kontrolle geriet. Das Kettenhemd lag schwer und tröstlich auf ihren Schultern, doch der Geruch des Metalls machte sie nervös, ihr sträubten sich sogar die Nackenhaare. Sie legte die Hand auf den Schwertgriff und spürte, wie ihre Finger zitterten. Deshalb packte sie das Heft fester als notwendig, damit es niemand bemerkte.
Bernard blickte nachdenklich in die Dunkelheit. Er hatte noch keinen Pfeil aufgelegt und zuckte nun mit der einen Schulter, als wolle er das Kettenhemd zurechtschieben. Dann kam er einen Schritt auf sie zu und fragte leise: »Angst?«
Sie schüttelte stirnrunzelnd den Kopf. Selbst diese Geste kam zu fahrig. »Wo sind sie?«
»Dort draußen. Außerhalb des Lichts. Sie werden angreifen, sobald sie sich versammelt haben.«
»Zehntausend.« Sie schluckte. »Zehntausend.«
»Denk nicht an ihre Zahl«, sagte er wieder leise. »Die Verteidigung wird leicht. Wir haben die Mauer, das Licht und das offene Gelände. Kaserna wurde an diesem Ort erbaut, weil es die Stelle im ganzen Tal ist, die man am besten verteidigen kann. Damit haben wir einen riesigen Vorteil auf unserer Seite.«
Amara sah ihn an und blickte dann in beide Richtungen über die Mauer. Es gelang ihr nicht, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. »Trotzdem sind es so wenige Legionares .«
»Nur die Ruhe«, knurrte Bernard. »Das ist nicht schlimm. Pirellus hat seine erfahrensten Männer auf die Mauer gestellt. Berufssoldaten, die zum größten Teil auch Familie haben. Die Dienstpflichtigen stehen als Reserve bereit. Von hier aus kann die Truppe eine zehnfache Übermacht durchaus besiegen, selbst ohne die Ritter. Pirellus und seine Männer werden diese Schlacht gewinnen. Die Legionares müssen die Horde nur aufhalten, bis die Ritter ihre Elementare gegen die Marat zum Einsatz bringen können. Wir werden ihnen eine hübsch blutige Nase verpassen, und sobald wir wissen, wer ihr Anführer ist, werden die Ritter sich auf ihn stürzen.«
»Sie töten den Hordenmeister«, stellte Amara fest.
»Das entmutigt die ganze Horde«, sagte Bernard. »Jedenfalls ist das der Grundgedanke. Wenn erst einmal genug Marat gefallen sind und sie ihren Anführer verloren haben, ehe es ihnen gelingt, unsere Verteidigungsanlage zu überwinden, wird ihnen die Lust am Kämpfen schon vergehen.«
Sie nickte, mit zusammengepressten Lippen. »Also gut. Wie kann ich helfen?«
»Halte nach dem Anführer Ausschau. Was das Äußere betrifft, unterscheidet er sich nicht sonderlich von den anderen Kriegern, deshalb musst du nach jemandem suchen, der sich etwa in der Mitte der Horde aufhält und Befehle erteilt.«
»Und wenn ich ihn entdeckt habe?«
Bernard nahm einen Pfeil und legte ihn auf die Sehne. »Zeig ihn mir. Sie dürften jeden Augenblick auftauchen. Viel Glück, Kursorin.«
»Dir auch, Wehrhöfer.«
Von der anderen Seite stützte sich Pirellus auf eine Zinne und beugte sich vor. »Bereit«, flüsterte er. »Kommt schon. Wir sind bereit.«
Und sie kamen, ohne Vorwarnung. Die Marat stürmten heran mit einem Schrei aus tausend Kehlen, sie fluteten ins Licht wie eine Welle aus lebendigen Muskeln und Knochen. Ihre Schlachtrufe dröhnten ohrenbetäubend und markerschütternd über Amara hinweg. Sie hätte es niemals für möglich gehalten, dass es einen derartigen Lärm geben konnte. Ehe sie begriff, was sie tat, brüllte sie ebenfalls, schrie ihre Furcht und ihren Trotz heraus und hielt das Schwert in der Hand, obwohl sie sich gar nicht erinnern konnte, es überhaupt gezogen zu haben - und neben ihr tat Pirellus genau das Gleiche.
»Bogenschützen!«, donnerte er mit einer Stimme wie Stentor. »Schießen!«
Und mit dem Sirren hunderter Bogensehnen flog den angreifenden Marat der Tod entgegen.
Amara beobachtete, wie die vordersten Reihen des Feindes fielen, wie die Nachfolgenden einfach über sie hinwegtrampelten. Noch zweimal gab Pirellus den Befehl zum Schießen, und zweimal rissen Pfeile Löcher in die Reihen der Marat, konnten jedoch den Ansturm
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