Die Elementare von Calderon
ab.
Sobald sie die Luft um sich fühlte, begann sie wieder zu zittern. Offensichtlich war das Wasser gar nicht so warm gewesen, wie es sich angefühlt hatte. Der Junge saß nun zusammengesunken so nah wie möglich an einem der Feuer, und sie ließ sich neben ihm nieder und schlang für einen Moment die Arme um ihn.
Ihr Kopf sank ihr auf die Brust, und Amara schnaubte leise, als sie zur Seite kippte. Sie wollte der Erschöpfung nicht nachgeben, aber sie konnte sich nicht mehr dagegen wehren. Vielleicht würden weder sie noch der Junge wieder erwachen. Ihr schnürte sich die Kehle zusammen, als sich ein protestierendes Wimmern darin bildete, doch sie zwang sich, wieder aufzustehen, obwohl sie vor lauter Zittern keinen klaren Gedanken fassen und sich kaum rühren konnte.
Mühsam zog sie sich aus, und ihre Finger fühlten sich dick und träge an wie Blei. Die nassen Kleidungsstücke ließ sie auf einen Haufen auf dem Marmorboden fallen und taumelte zu einer der Steinwachen, die die Totenbahre anstarrten. Sie riss den roten Umhang von den Schultern der Wächterfigur und schlang ihn um ihren Leib. Nun gönnte sie sich eine kurze Atempause, lehnte sich an die Wand und bibberte. Anschließend ging sie zu den beiden nächsten Statuen. Mit deren beiden Umhängen kehrte sie zu dem Jungen zurück. Dort brachte sie ihre letzten Kräfte auf und hüllte ihn mit dem Stoff ein, damit ihm warm wurde.
Nun rollte sie sich unter dem scharlachroten Umhang der Königlichen Wache zusammen und hockte sich an die Wand. Mehr brauchte es nicht; binnen eines Augenblicks war sie fest eingeschlafen.
Als sie erwachte, fühlte sie Wärme und Schmerzen. Draußen wütete unbeirrt der Sturm, der Wind heulte, und der gefrorene Regen prasselte auf den Boden. Amara erhob sich müde, steif, weil sie in der Hocke geschlafen hatte, aber unter dem schweren Stoff des Umhangs fror sie wenigstens nicht mehr. Rasch ging sie zum Eingang und warf einen Blick hinaus. Es war Nacht. Blitze zuckten in wildem Tanz über den Himmel, aber das Donnergrollen schien inzwischen mehr aus der Ferne zu kommen. Die Elementare der Luft setzten ihren Kampf weiter fort, doch die Winterwinde hatten ihre Rivalen das Tal hinaus nach Süden verdrängt, und der Regen ging langsam in Hagel über.
Gaius hat es gewusst, schoss es Amara durch den Kopf. Er dürfte geahnt haben, was geschehen würde, wenn er die Südwinde so weit nach Norden in dieses Tal schickte. In seinem hohen Alter kannte er die Mächte, die in seinem Reich herrschten, viel zu gut, als dass es sich bei diesem Wetter um Zufall handeln konnte. Dennoch hatte der Erste Fürst diesen Sturm herbeigeführt. Nur, aus welchem Grund?
Amara starrte in die unfreundliche Nacht und runzelte die Stirn. Sie saß hier fest, bis das Unwetter nachließ. Wie auch alle anderen im Tal, Närrin, dachte sie. Sie riss die Augen auf. Gaius hatte auf diese Weise alle Vorgänge im Calderon-Tal zum Stillstand gebracht.
Aber wozu? Wenn es doch darum ging, schnell zu handeln, weshalb scheuchte er sie dann erst her und hinderte sie dann daran zu handeln? Es sei denn, Gaius hatte gespürt, dass sich die gegnerische Seite bereits in Bewegung gesetzt hatte. In diesem Fall bot ihr das Wetter die Gelegenheit, sich auszuruhen, ehe sie etwas unternahm.
Sie legte die Stirn in Falten. Würde der Erste Fürst wirklich einen solch tödlichen Sturm entfesseln, der den Einsatz von Elementarbeschwörung ungeahnten Ausmaßes erforderte, nur damit seine Spionin sich erholen konnte?
Amara zitterte und zog den Umhang ein wenig enger zusammen. Gaius’ Überlegungen konnte sie lediglich zum Teil nachvollziehen. Er wusste weitaus mehr als die anderen Menschen in Alera, mehr, als sich die meisten überhaupt vorzustellen vermochten. Häufig zeichneten sich seine Handlungen durch Raffinesse aus: Er verfolgte oftmals zur gleichen Zeit nicht nur ein einziges Ziel. Was hatte Amaras Herrscher also außerdem vor?
Sie schnitt eine Grimasse. Wenn Gaius es ihr hätte mitteilen wollen, hätte er es wohl getan. Offensichtlich traute er ihr zu, in eigener Verantwortung zu handeln und dabei seine Ziele umzusetzen. Oder aber er traute ihr immer noch gar nichts zu.
Nun wandte sie sich um und tappte leise zurück ins Memorium. Ihre Gedanken drehten sich im Kreis. Sie lehnte sich neben einem der steinernen Wächter, die sie ihrer Umhänge beraubt hatte, an die Wand und strich sich mit den Fingern durchs Haar. Langsam musste sie zur Tat schreiten. Die Feinde der Krone würden
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