Die Elementare von Calderon
auf die Beine gebracht haben, Kind. Er wird sich um alles kümmern. Du musst dich ausruhen.«
Isana schüttelte den Kopf. Sie konnte sich jetzt nicht ausruhen. Nicht, solange draußen der Sturm tobte. Nicht, solange Tavi dem Unwetter schutzlos und allein ausgesetzt war. Sie wollte sich aufsetzen, aber sie konnte nicht. Ihr war gerade genug Kraft geblieben, um den Kopf zu heben. Also ließ sie sich zurücksinken, und eine Träne rann aus ihrem Auge. Diese Träne rief andere hervor, und so weinte sie still, weinte, bis sie nichts mehr sehen und kaum mehr atmen konnte.
Sie hätte besser achtgeben müssen. Hätte sie ihm heute Morgen nur verboten, den Wehrhof zu verlassen. Außerdem hätte sie sich früher um ihren Bruder kümmern müssen, hätte die Pläne
der Kordhöfer eher durchschauen sollen, ehe es zu Gewalttätigkeiten kommen konnte. Sie hatte sich bemüht, sie hatte alles versucht, die Elementare wussten es. Doch alle Anstrengungen waren vergeblich gewesen. Die Zeit hatte sich über sie hergemacht wie eine hungrige Krähe.
Tavi war dort draußen im Sturm. Ganz allein.
Oh, Elementare und Geister der Verstorbenen. Bitte. Bitte schickt ihn heil nach Hause.
12
Amara gab sich Mühe, ihre Übermüdung und die Kälte nicht zu beachten. Ihre Glieder zitterten unbeherrscht, ihr ganzer Körper brannte vor Erschöpfung. Am liebsten hätte sie sich auf den Boden gelegt und geschlafen - aber das hätte den Jungen vielleicht das Leben gekostet.
Sie hatte ihm den Schlamm so gut wie möglich von Gesicht und Hals gewischt, aber noch immer war die blasse Haut von einer lehmigen, braun-grauen Masse überzogen. So sah er aus wie eine Leiche, die schon mehrere Tage alt war. Amara schob eine Hand unter sein Hemd und suchte nach dem Herzschlag. Trotz des schlechten Wetters trug er nur eine leichte Tunika und einen Mantel, was zeigte, unter welch harten Bedingungen er hier an der wilden Grenze des Reiches aufgewachsen war. Sie schauderte, durchnässt und halb erfroren wie sie war, und blickte sehnsüchtig zu einem der Feuer hinauf.
Sein Herz pochte schnell und kräftig unter ihrer schlammbedeckten
Hand, aber als sie diese hervorzog, entdeckte sie helles Rot. Der Junge war verwundet, allerdings konnte es keine schwerwiegende Verletzung sein, denn sonst wäre er längst tot. Amara fluchte leise und tastete die Glieder ab. Sie fühlten sich bedrohlich kalt an. Während sie verzweifelt überlegte, was sie tun sollte, rieb sie weiter kalten Schlamm von seiner Haut und versuchte, seinen Kreislauf anzuregen, damit Wärme und Blut in Arme und Beine zurückflossen. Sie rief ihn mehrmals beim Namen, doch obwohl die Lider zuckten, schlug er die Augen nicht auf und sprach auch nicht.
Sie schaute sich im Raum um. Amara schauderte bei dem Gedanken, was Schlamm vom Feld der Tränen, wo so viele Legionares gefallen waren, in seinem Blut anrichten konnte. Die Wunde und der Körper mussten gesäubert werden, und zwar schnell.
Rasch zog sie ihn aus. Trotz seiner schlanken Erscheinung war er zu schlaff und zu schwer, als dass sie mit ihren kraftlosen Händen behutsam hätte vorgehen können. Die Kleidung riss an manchen Stellen, und ehe sie ihn ausgezogen hatte, waren seine Lippen blau geworden. Halb trug und halb schleifte Amara den Jungen zum Wasser und ließ ihn hineinsinken.
Die Wärme überraschte sie angenehm. Der Boden des Beckens fiel steil ab bis auf Hüfthöhe, und sie ließ sich selbst ebenfalls hineingleiten, hielt das Gesicht des Jungen über Wasser und genoss das Wohlgefühl, bis ihre Zähne nicht mehr klapperten.
Im Anschluss zog sie ihn ein wenig zur Seite, von der Stelle fort, wo der Schlamm das Wasser trübte, rieb dem Jungen kräftig die Haut ab und wusch ihn, bis er sauber war.
Sein Körper zeigte eine schockierende Zahl von Blutergüssen, Schrammen, aufgeschürfter Haut und kleinen Schnitten. Die Blutergüsse waren frisch, nur wenige Stunden alt, schätzte sie. An den Knien schälten sich mehrere Schichten Haut ab, was gut zu den ausgefransten Löchern an der Hose passte. Auf Armen und Beinen und an den Flanken des Oberleibs sah sie purpurrote Flecken, die
gerade erst Form annahmen, als habe ihn vor kurzem jemand entsetzlich verprügelt. Die langen, dünnen Kratzer stammten vermutlich davon, dass er durch dorniges Dickicht gerannt war.
Sie wischte ihm den Schlamm vom Gesicht, so gut sie konnte, und benutzte dazu ihre bereits zerrissenen Röcke, dann zog sie ihn wieder aus dem Wasser und setzte ihn an einem der Feuer
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