Die Elementare von Calderon
Nun wusch sie ihre Kleidung im Becken und hängte sie über die Äste der kleineren Bäume, die sie zu einem der Feuer trug, um alles zu trocknen. Dem müden Cirrus trug sie auf, vor dem Eingang Wache zu halten und sie vor jedem zu warnen, der sich näherte. Nachdem diese Aufgaben erledigt waren, suchte sie sich einen glatten Stein aus der Erde zwischen den Bäumen und wetzte damit ihr kleines Messer.
Das war der Zeitpunkt, an dem die Tränen sie übermannten. Denn plötzlich suchten sie die Erinnerungen an die Jahre der Unterweisung und der Gespräche heim, an das Leben, das sie mit dem Mann geführt hatte, der ihr Lehrer gewesen war. Sie hatte ihn auf ganz eigene Weise geliebt, hatte die Gefahr geliebt, die mit ihrer Arbeit verbunden war, die Erfahrungen, die er mit ihr teilte, das Leben, das sie führen durfte. Er hatte gewusst, wie viel es Amara bedeutete, ein Kursor zu werden. Deshalb hatte er sie bei ihren Studien und bei ihrem Abschluss an der Akademie unterstützt.
Er hat alles getan, er hat mir nur nicht die Wahrheit gesagt. Amara spürte, wie ihr die Tränen in die Augen traten, und ließ ihnen
freien Lauf. Es schmerzte. Es schmerzte, daran zu denken, dass er sich gegen das Reich gewandt hatte, dass er in einem einzigen Akt des Verrates alles gefährdete, wofür sie gekämpft hatte, was sie beschützen wollte. Er hatte den Zweck seines Lebens - Kursor zu sein - für leer und bedeutungslos erklärt und damit auch ihr Leben. Seine Taten, nicht seine Worte, straften alles Lügen.
Gleichgültig, was auch mit ihr passieren mochte, sie würde ihn aufhalten. Mochte er planen, was er wollte, mochte er es vor sich selbst noch so gut rechtfertigen, Fidelias blieb doch ein Verräter. Diese simple Tatsache machte ihr das Herz schwer. Das Messer wisperte es, wenn der Stein über die Schneide strich, und der Stahl wurde mit ihren Tränen gekühlt. Verräter. Verräter. Sie würde ihn aufhalten. Sie musste ihn aufhalten.
Sie gab keinen Laut von sich. Ihr Schluchzen schluckte sie herunter, bis ihr der Hals wehtat. Sie kniff die Augen zu und drückte die Tränen aus den Augen, sie wetzte ihr kleines Messer, bis das Metall im Feuerschein glänzte.
13
Noch vor Mittag am nächsten Tag setzten die Ritter Aeris Fidelias gemeinsam mit Aldrick dem Schwert und der verrückten Odiana am westlichen Ende des Calderon-Tales ab. Graue Wolken hingen tief und düster am Himmel, doch waren sie nicht mehr als eine leere Drohung. Der Sturm war ihnen bereits in der vergangenen Nacht vorausgegangen und nun nach Süden abgezogen, von wo ferner Donner schwach herangrollte. Gegen die Kälte im Tal
schützten sie sich mit warmer Kleidung, und ihr Atem hing wie Nebel in der Luft.
Fidelias stieg aus der Sänfte, verzog das Gesicht und wollte vom Hauptmann der Ritter wissen: »Und du bist sicher, dass niemand hier eingetroffen ist?«
Der Mann murmelte etwas in die Luft, legte den Kopf abwesend schief und lauschte. Einen Moment später nickte er. »Livus berichtet, dass sich hier und dort noch die Kundschafter der Marat herumtreiben. Keiner unserer Beobachter hat jemanden ins Tal kommen sehen.«
»Das war nicht die Frage«, erwiderte Fidelias. Er hörte selbst, wie schroff seine Stimme klang. »Das Letzte, was wir gebrauchen können, ist ein Gesandter der Krone, der Kaserna wachrüttelt oder Verstärkung aus Riva mitbringt.«
Der Hauptmann schüttelte den Kopf. »Der Sturm heute Nacht war lang und hat äußerst heftig getobt. Im Freien hätte ihn niemand überlebt. Allerdings könnte sich möglicherweise jemand in seinem Schutz eingeschlichen haben, wenn derjenige schnell genug eine Zuflucht gefunden hätte -«
Fidelias unterbrach ihn mit einem Wink. »Sie ist dazu imstande. Die Krähen sollen Gaius und alle mit ihm holen. Er ist ein alter Angeber, selbst wenn er nur Verwirrung stiften will.«
»Da hat aber jemand schlechte Laune heute Morgen«, flüsterte Odiana Aldrick zu. Der große Schwertkämpfer stieg aus der Sänfte, drehte sich um und hob die wohlgeformte Frau mit Leichtigkeit auf den Boden. Die Wasserhexe schenkte Fidelias ein anzügliches Grinsen und drückte sich an Aldrick. »Man möchte meinen, er hat letzte Nacht nicht genug Schlaf bekommen.«
»Friedlich«, knurrte Aldrick und legte ihr die dicken Finger einer seiner Pranken über den Mund. Die Frau schloss die Augen und seufzte versonnen.
Fidelias beachtete die Stichelei nicht weiter und sagte zum Hauptmann: »Dies ist nicht der rechte Augenblick, um nachlässig
zu sein.
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