Die Elementare von Calderon
großes Talent in der Elementarbeschwörung zu sein, um Gebäude zu entwerfen oder das Gesetz zu vertreten.«
Amara nickte. »Du könntest ja auch Kursor werden.«
Tavi rümpfte die Nase und schnaubte. »Und mein Leben damit verbringen, Briefe zu übermitteln? Das dürfte ziemlich langweilig sein.«
Die Sklavin nickte nüchtern. »Guter Einwand.«
Tavi saß plötzlich ein Kloß im Hals. »Da draußen auf dem Wehrhof rettet die Beschwörung dir das Leben. Buchstäblich. In den Städten ist sie nicht so wichtig. Dort muss man sich nicht gleich als Aussätziger fühlen. Außerdem kann man sich seinen Lebensunterhalt selbst verdienen. Die Akademie ist der einzige Ort in Alera, wo das möglich ist.«
»Das klingt so, als hättest du schon viel darüber nachgedacht«, meinte Amara leise.
»Mein Onkel hat die Akademie einmal besucht, als seine Legion vor dem Ersten Fürsten antreten musste. Davon hat er mir erzählt. Und ich habe mit Soldaten gesprochen, die unterwegs nach Kaserna waren. Mit Händlern. Im letzten Frühjahr. Mein Onkel hat versprochen, dass er mir ein paar Schafe schenken würde, wenn ich ihm beweise, dass ich sie gut versorgen kann. Ich habe mir ausgerechnet, wenn ich sie im nächsten Jahr verkaufe und meinen ganzen Sold aus der Legion spare, könnte ich mir ein Semester an der Akademie leisten.«
»Ein Semester?«, fragte Amara. »Und dann?«
Tavi zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich würde
nach einer Möglichkeit suchen, wie ich dort bleiben kann. Vielleicht könnte ich einen Gönner finden, oder... keine Ahnung. Irgendwie.«
Sie sah ihn kurz an. »Du bist ziemlich tapfer, Tavi.«
»Mein Onkel wird mir die Schafe nach diesem Missgeschick nicht schenken. Wenn er überhaupt noch lebt.« Seine Kehle schnürte sich noch enger zusammen, und er senkte den Kopf. Hinter seinen geschlossenen Lidern lauerten Tränen.
»Bestimmt geht es ihm gut«, sagte die Sklavin.
Tavi nickte, brachte jedoch kein Wort heraus. Die Pein, die er so tief in sich versteckt hatte, stieg jetzt mit aller Macht nach oben, und die Tränen rannen ihm über die Wangen. Onkel Bernard durfte nicht tot sein. Das durfte einfach nicht sein. Wie sollte Tavi damit leben können?
Wie sollte er seiner Tante je wieder unter die Augen treten?
Er hob die Faust und schlug sie wütend in die andere Hand.
»Wenigstens lebst du noch«, sagte Amara leise. Sie legte ihm die Hand auf die Schulter. »Das solltest du nicht unterschätzen, nach allem, was gestern passiert ist. Du lebst noch.«
»Ich habe so das Gefühl, dass ich mir, wenn ich wieder zu Hause bin, das Gegenteil wünschen werde«, meinte Tavi trocken. Er unterdrückte die Tränen und zwang sich, für die junge Frau zu lächeln.
Sie erwiderte das Lächeln. »Darf ich dich etwas fragen?«
Er zuckte mit den Schultern. »Klar.«
»Warum hast du alles gefährdet, wofür du gearbeitet hast? Warum warst du bereit, dieser Beritte zu helfen, obwohl du wusstest, welchen Ärger du dir damit einhandeln kannst?«
»Ich habe nicht richtig nachgedacht«, antwortete Tavi traurig. »Ich meine, ich habe geglaubt, dass ich alles hinkriegen würde. Erst am Ende des Tages habe ich gemerkt, dass ich mich entscheiden muss, ob ich alle Schafe hereinhole oder diese Honigglöckchen pflücke, und ich hatte es ihr doch versprochen.«
»Ach«, sagte die Sklavin, aber ihre Miene war nicht recht zu deuten.
Tavi spürte, wie ihm die Röte in die Wangen stieg, und er schaute zu Boden. »Also gut«, seufzte er. »Sie hat mich geküsst, und da hat sich mein Hirn in Ohrenschmalz verwandelt.«
»Das kann ich mir vorstellen«, sagte Amara. Sie streckte den Fuß ins Becken und spielte abwesend mit dem Wasser.
»Und was ist mit dir?«, fragte Tavi.
Sie legte den Kopf schief. »Was meinst du?«
Er sah sie unsicher an. »Bisher habe nur ich geredet. Du hast mir noch gar nichts über dich erzählt. Für gewöhnlich wandern Sklaven nicht so weit abseits der Straße durch die Gegend. Ganz allein. Ich würde mal annehmen, äh, dass du geflohen bist.«
»Nein«, erwiderte die junge Frau fest. »Aber ich habe mich im Sturm verirrt. Eigentlich war ich unterwegs nach Kaserna, wo ich für meinen Herrn eine Nachricht überbringen sollte.«
Tavi sah sie von der Seite an. »Er hat dich so losgeschickt? Eine Frau? Ganz allein?«
»Ich stelle seine Befehle nicht in Frage, Tavi. Ich gehorche einfach.«
Der Junge legte die Stirn in Falten, nickte jedoch. »Na ja, das ist wohl richtig, nehme ich an. Aber könntest du
Weitere Kostenlose Bücher