Die Elementare von Calderon
gehört, könnte er dahinterkommen, was hier gespielt wird.«
Odiana lenkte ihr Pferd zu Aldricks, nahm die Zügel und brachte dem Schwertkämpfer sein Tier. Derweil betrachtete sie Fidelias nachdenklich. Aldrick stieg auf und schob das erbeutete Schwert in einen Riemen hinter seinem Sattel. »Suchen wir sie also. Und dann?«
Ohne zu antworten wendete Fidelias sein Pferd und ritt von der Lichtung, nicht mehr auf den Berg zu, sondern auf den Dammweg, wo er am wahrscheinlichsten Fährten von jemandem entdecken würde, der hier entlanggekommen war. »Das entscheiden wir, wenn es so weit ist.«
Odiana fragte: »Und wenn sie zu viel wissen?«
Fidelias betrachtete seine Reithandschuhe und schüttelte einen trocknenden Blutstropfen ab. »Dann sorgen wir dafür, dass sie schweigen.«
14
»Und so ist das alles gekommen«, sagte Tavi. »Es hat mit einer kleinen Lüge angefangen. Und ich wollte doch nur die Schafe zurückholen. Meinem Onkel zeigen, dass ich es ohne Hilfe schaffe. Dass ich unabhängig bin und Verantwortung übernehmen kann.« Er hob ein Stück Schale von einer Orange auf und warf sie zwischen die Pflanzen am Wasser. Seine düstere Miene verriet, welcher Aufruhr in seinen Gedanken herrschte.
»Du hast wirklich überhaupt keinen Elementar?«, fragte die Sklavin erneut, immer noch verblüfft. »Keinen einzigen?«
Tavi zog die Schultern hoch und hüllte sich tiefer in den scharlachroten Mantel, als könnte der Stoff das Gefühl der Einsamkeit lindern, das ihre Worte bei ihm auslösten. Schroffer als beabsichtigt antwortete er: »Stimmt. Ja, und? Trotzdem bin ich ein guter Hirte. Und der beste Lehrjunge im ganzen Tal. Ob mit oder ohne Elementar.«
»Oh«, sagte Amara rasch. »Nein, ich wollte dich nicht -«
»Niemand will das«, meinte Tavi. »Trotzdem tut es jeder. Sie sehen mich an wie einen... Krüppel. Obwohl ich laufen kann. Wie einen Blinden, obwohl ich sehen kann. Es spielt keine Rolle, was ich tue oder wie gut ich etwas mache, alle sehen mich auf diese Weise an.« Er warf ihr einen Blick zu. »So wie du jetzt.«
Amara runzelte die Stirn, erhob sich, und ihre zerrissenen Röcke sowie der Umhang wirbelten um ihre Knöchel. »Tut mir leid«, sagte sie. »Tavi, es ist eben... ungewöhnlich. Ich habe noch nie von jemandem gehört, der dieses Problem hat. Aber du bist jung. Möglicherweise bist du einfach noch nicht alt genug. Ich meine, du bist zwölf? Dreizehn?«
»Fünfzehn«, murmelte Tavi. Er legte das Kinn auf die Knie und seufzte.
Amara zuckte zusammen. »Verstehe. Und du machst dir Sorgen wegen deines Dienstes bei der Legion.«
»Welchen Dienst?«, entgegnete Tavi. »Ich habe keine Elementare. Was soll die Legion mit mir anfangen? Ich kann keine Signale geben wie die Luftwirker, kann die Linien nicht halten wie Erdwirker und nicht mit den Feuerwirkern angreifen. Auch zum Heilen bei den Wasserwirkern tauge ich nicht. Ich kann kein Schwert schmieden oder eines schwingen wie ein Metallwirker. Genauso wenig kann ich kundschaften oder mich verstecken oder schießen wie ein Holzwirker. Dann bin ich auch noch klein. Ich eigne mich nicht einmal, um einen Speer zu halten und bei den einfachen Truppen zu kämpfen. Was sollen sie mit mir anfangen?«
»Niemand kann deinen Mut in Frage stellen, Tavi. Den hast du heute Nacht bewiesen.«
»Mut.« Wieder seufzte Tavi. »Soweit ich das beurteilen kann, steckt man mit Mut nur noch mehr Prügel ein, als wenn man einfach davonrennt.«
»Manchmal ist das wichtig«, hielt sie dagegen.
»Sich verprügeln zu lassen?«
»Nicht davonzurennen.«
Er zog die Augenbrauen hoch und sagte nichts. Die Sklavin schwieg eine Weile, ehe sie sich zu ihm setzte und den roten Umhang um sich zog. Gemeinsam lauschten sie dem Regen draußen. Amaras nächste Frage erwischte Tavi unvorbereitet. »Was würdest du tun, wenn du es dir aussuchen könntest?«
»Wie bitte?« Tavi sah sie an.
»Wenn du dir aussuchen könntest, was du mit deinem Leben anfängst? Wenn du irgendwohin gehen könntest«, sagte Amara, »was würdest du tun? Wohin würdest du gehen?«
»Zur Akademie«, antwortete er sofort. »Da muss man keine
Elementare beschwören können. Klugheit genügt, und klug bin ich. Ich kann lesen und schreiben und rechnen. Meine Tante hat es mir beigebracht.«
Sie runzelte die Stirn. »Zur Akademie?«
»Die ist nicht nur für Ritter, weißt du«, erklärte Tavi. »Dort werden auch Gesandte ausgebildet, Architekten und Baumeister. Berater, Musiker, Künstler. Man braucht kein
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