Die Elementare von Calderon
vielleicht mit zu uns kommen? Und mit meinem Onkel reden? Er wird bestimmt dafür sorgen, dass du sicher nach Kaserna gelangst. Außerdem bekommst du eine warme Mahlzeit und neue Kleider.«
In den Augenwinkeln der Sklavin zeigten sich Fältchen. »Eine sehr höfliche Art und Weise, jemanden gefangen zu nehmen, Tavi.«
Er errötete. »Tut mir leid. Vor allem, weil du mir das Leben gerettet hast. Aber wenn du eine Entlaufene bist und ich nichts deswegen unternehme, kommt mein Onkel in Konflikt mit dem Gesetz.« Er strich sich das Haar aus den Augen. »Und ich habe schon genug Unheil angerichtet.«
»Ich verstehe«, sagte sie. »Also gut, ich begleite dich.«
»Danke.« Er sah zum Eingang. »Hört sich so an, als hätte der Regen nachgelassen. Meinst du, es ist sicher genug, um aufzubrechen?«
Die Sklavin schaute eine Weile hinaus. »Länger zu warten wird auch nichts mehr ändern. Wir sollten zu deinem Wehrhof gehen, ehe der Sturm wieder schlimmer wird.«
»Meinst du, er legt noch einmal los?«
Amara nickte. »Fühlt sich jedenfalls so an.«
»Gut. Kannst du denn laufen?« Er sah auf ihren Fuß. Der Knöchel war geschwollen und blau geworden.
»Ist doch nur der Knöchel.« Amara verzog das Gesicht. »Nicht der ganze Fuß. Tut zwar ein bisschen weh, aber wenn ich aufpasse, sollte ich es schaffen.«
Tavi atmete kräftig durch und drückte sich hoch. Die Schnitte und Schürfwunden brannten und schmerzten, seine Muskeln protestierten. Er musste sich einen Moment lang an die Wand lehnen, bis der Schwindel nachließ. »Also gut. Ich schätze, leichter wird es später auch nicht.«
»Schätze ich auch.« Amara gab einen leisen Schmerzenslaut von sich, als sie aufstand. »Gut. Wir sind ja ein paar hübsche Wanderer. Geh du voraus.«
Tavi trat aus dem Memorium in die Kälte des Nordwindes, der vom Berg und vom Eismeer jenseits davon heranwehte. Obwohl Tavi den scharlachroten Umhang aus dem Memorium mitgenommen hatte, wäre er am liebsten sofort wieder in den geschützten Raum umgekehrt. Das gefrorene Gras knirschte unter seinen Füßen, und der Atem hing ihm wie Nebel vor dem Mund, bis der Wind ihn rasch davontrug. Niemand hätte es mehr bestreiten können: Der Winter war mit ganzer Macht ins Calderon-Tal eingekehrt, und der erste Schnee würde nicht mehr lange auf sich warten lassen.
Er warf der Sklavin hinter sich einen Blick zu. Amara wirkte abgelenkt, und sie humpelte ein wenig, während sie mit nackten
Füßen durch das eiskalte Gras ging. Tavi zuckte zusammen. »Wir sollten bald Rast machen, damit du deine Füße ein wenig aufwärmen kannst. Wir könnten einen der Umhänge zerreißen, und du wickelst dir den Stoff um die Füße.«
»Das würde doch nur wieder einfrieren«, sagte sie, nachdem sie einen Moment geschwiegen hatte. »Die Luft hält die Wärme besser als Stoff. Geh nur weiter. Wenn wir deinen Wehrhof erreichen, können wir uns dort aufwärmen.«
Tavi runzelte die Stirn, eigentlich nicht wegen dem, was sie gesagt hatte, sondern wegen der Art, wie sie ihre Aufmerksamkeit auf vollkommen andere Dinge zu richten schien. Erfrorene Füße sollte man nicht unterschätzen, und wenn sie an das Leben in der Stadt gewöhnt war, wusste sie vielleicht nicht, welche Gefahren hier an der Grenze drohten oder wie leicht der Frost eine Gliedmaße oder gar das Leben kostete. Er beschleunigte seine Schritte ein wenig, und sie folgte ihm.
Sie erreichten den Dammweg und gingen darauf weiter, doch war nicht einmal eine Stunde vergangen, als Tavi ein schwaches Beben im Boden spürte, so leise, dass er anhalten und die Hand auf die Pflastersteine legen musste. »Warte mal«, sagte er. »Ich glaube, da kommt jemand.«
Sofort hatte er Amaras Aufmerksamkeit, und Tavi sah, wie sie ihren Umhang ein wenig enger um sich zog und die Hände darunter versteckte. Ihre Blicke suchten hektisch die Umgebung ab. »Kannst du sagen, wer?«
Tavi biss sich auf die Unterlippe. »Fühlt sich an wie Brutus. Das ist der Elementar meines Onkels. Vielleicht ist er es.«
Die Sklavin schluckte heftig. »Jetzt spüre ich es auch. Ein Erdelementar.«
Nicht lange danach tauchte Bernard hinter einer Kurve der Straße auf. Die Steine kräuselten sich unter ihm wie eine kleine Welle. Tavis Onkel stand still da und hatte das Gesicht vor Konzentration verzogen, während die Erde ihn langsam vorwärtsbewegte
wie eine Ozeanwoge ein abgefallenes Blatt. Er trug seine Jagdkleidung für den Winter, darüber einen Mantel aus Thanadenthaut, der mit
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