Die Elfen 01 - Vor der Elfendämmerung
Gilde. Und so waren sie, mit Blindheit und Taubheit geschlagen, unfähig, das Gewitter zu kontrollieren, das sich in ihrer eigenen Stadt zusammenbraute, und dazu verdammt abzuwarten. Sie schickten berittene Trupps hinaus, die die Umgebung der Stadt erkunden und die Spur der Elfen finden sollten, gleich wo sie waren, aber die Reiter kehrten ratlos, vor Kälte bibbernd und ohne ihre Pferde wieder zurück. Also beschrieben Pellehun und Gorlois hastig kleine Pergamente, die, an den Füßen der Brieftauben befestigt, dazu dienen sollten, zu jedem Vorposten, jedem Mittelsmann der Gilde geschickt zu werden, in alle Ecken des Königreichs von Logres. Und auf allen stand dieselbe Frage: Was machen die Elfen? Diese Botschaften loszuschicken, wollten sie keinem Dritten überlassen.
Die Wachen des Taubenturms fielen beinahe von ihren Schlagbäumen, als sie die beiden höchsten Würdenträger des Reichs herankommen und mit rotem Kopf und schwer atmend an sich vorbeistürmen sahen, ohne anzuhalten, bis sie vor dem schweren Holztor standen, das den Eingang zum Taubenschlag versperrte.
»Offne!«, knurrte Gorlois den Posten an, der die Schlüssel trug.
Der Soldat griff nach seinem Bund und drehte den Schlüssel im Schloss herum, aber die Tür ließ sich nicht öffnen.
»Nun, was ist?«, fragte der König.
»Ich krieg sie nicht auf, Sire!«, meinte der Posten. »Irgendetwas blockiert sie von innen.«
»Zur Seite mit dir!«
Pellehun warf sich gegen die Tür, die sich einen Spalt weit öffnete, so dass ein Lichtschein auf die steinernen Stufen fiel. Sofort nahm ihnen der Gestank den Atem. Das war nicht der übliche Geruch des Taubenschlags, der sich aus Taubenmist und schimmligem Bodenstroh zusammensetzte. Diesmal stank es viel schlimmer ...
»Wache, zu mir!«, brüllte Gorlois und stieg einige Stufen hinab. »Schlagt mir diese Tür ein!«
Der alte Seneschall ergriff den König am Ärmel und zog ihn zurück, während eine Gruppe Soldaten sich an der Tür zu schaffen machte und Lanzen als Hebel in den Spalt schoben, den der König geöffnet hatte.
Die beiden stiegen währenddessen bis zum Wachhäuschen hinab und setzten sich auf eine Bank.
»Etwas zu trinken für den König«, befahl Gorlois dem Sergeanten, der ihnen eilig schlechten Wein in schmuddeligen Bechern servierte.
Erhitzt, wie sie trotz der Kälte von ihrem überstürzten Anstieg waren, tranken sie den Becher in einem Zug leer, zogen die Nase kraus und verlangten ein zweites Glas von dem sauren Wein. Im selben Moment tauchte ein verlegen wirkender Posten vor ihnen auf, der aussah, als sei ihm speiübel.
»Sire, die Tür ist auf. Vielleicht solltet Ihr Euch den Anblick besser ersparen ...«
Der Rat hatte den gegenteiligen Effekt auf den König, der seinen Becher zu Boden warf und die schmale Treppe zum Taubenturm hinaufhechtete.
Der ganze Boden war eine halbe Armlänge hoch von toten, bereits verwesenden Tauben bedeckt. Und mitten in der ekligen Masse lagen die Leichen der beiden Taubstummen, von Kratzern und Schnabelhieben übersät und von getrocknetem Blut verunstaltet, als hätten die Vögel sich in einem grotesken, mörderischen Angriff auf sie gestürzt. Ratten, die von wer weiß woher kamen, hatten an all dem verwesenden Fleisch ein Festmahl.
Gorlois, der hinter dem König erschien, erbleichte. Was ihm den Magen umdrehte, war gar nicht so sehr der scheußliche Anblick, sondern vielmehr die Gewissheit, die Ursache dieses Massakers zu kennen. Die erbarmungswürdigen Gefangenen des Grauen Turms waren der Verzweiflung erlegen und hatten dieses entsetzliche Blutbad angerichtet, um ihrer schrecklichen Existenz ein Ende zu setzen ... Sein Blick begegnete dem des Wärters. Einen Augenblick lang, bevor der Mann sich wieder zusammennahm und die Augen demütig senkte, sah er eine derartige Verachtung und solchen Hass darin aufflammen, dass er selbst, Gorlois, den Blick abwandte.
Heulend vor Wut bahnte Pellehun sich mit Fußtritten einen Weg durch das Massengrab, um das ganze Ausmaß der Katastrophe wahrzunehmen. Als er auf dem dreckigen Boden einen Taubenkadaver sah, der noch einen Ring trug, hob er ihn fieberhaft auf und löste das in einem gelben Lederband an seiner Kralle befestigte Pergamentröllchen - es handelte sich um eine unwichtige Routinebotschaft von einem der Vorposten -, um ihn dann fluchend wieder auf den Boden zu werfen. Der König ließ seinen Blick über die leeren, in die Backsteinmauern gehauenen Verschläge schweifen, auch über die
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