Die Elfen 03 - Die Stunde der Elfen
die Knochen zwischen ihren Knappen. Am frühen Morgen hatten sie den Boden von Sorgalles betreten, waren allerdings keiner Menschenseele begegnet. Es war ein wildes und kaum gerodetes Land, das aus bewaldeten Hügeln und tief eingeschnittenen Tälern bestand, ein Land ohne Horizont, im Süden durch den Saum des großen Waldes begrenzt und gänzlich verschieden von der riesigen Ebene, die sich rund um Loth erstreckte. Ein Land voller Hinterhalte, wo man sich bei einer Schlacht weder weiträumig verteilen noch seinen Weg verlässlich erkunden konnte, was den Herzog von Carmelide mit Unruhe erfüllte.
Und doch war Léo de Grand ein Kind des Krieges, und wenn man den stattlichen Hünen so dahinreiten sah, eine würdevolle Erscheinung in seinem Waffenrock, auf den das Wappen des Hauses Carmelide aufgebracht war (ein aufgerichteter schwarzer Löwe mit herausgestreckter Zunge auf weißem Grund), mit seiner wehenden Mähne, dem buschigen, braunen Bart und dem zerfurchten Gesicht, so hätte sich keiner vorstellen können, was er empfand.
Bereits als junger Schildknappe hatte er zu einer Zeit, da Uther noch nicht einmal geboren war, den Zehnjährigen Krieg mitgemacht. Den Krieg und den anschließenden Sieg, als die freien Völker der Menschen, Zwerge und Elfen Den-der-keinen-Namen-haben-darf und seine Legionen des Grauens bis hinter die Marken zurückgetrieben hatten. Doch die Aussicht darauf, erneut gegen sie ins Feld zu ziehen, rief in den Tiefen seiner Seele albtraumhafte Visionen wach. Die Furcht hatte sich wie bei allen, die gegen die Dämonen gekämpft hatten, wie Gift in seinen Adern ausgebreitet. Es gab bestimmte Dinge, die die Menschen nicht verkraften konnten. Unsägliche Dinge, Horrorvisionen, Ekel erregende Gerüche und entsetzliches Geheul, die einen um den Verstand brachten oder einen für immer seelisch versteinern ließen. Mit der Zeit war man zwar wieder im Stande, ganze Nächte durchzuschlafen, ohne davon zu träumen, aber vergessen konnte man all das nicht. Léo de Grand hatte über zwanzig Jahre gebraucht, um die Erinnerung an jenes Grauen zu begraben, das gegenwärtig wie ein Fieberschub in ihm aufwallte.
Beim Tode seines Vaters waren auf Léo de Grand der Titel, das Herzogtum von Carmelide, die Burg von Carohaise sowie die Verantwortung für die gesamte Hausgemeinschaft übergegangen. Wenn der Zufall es gewollt und irgendjemand auf die Idee gekommen wäre, ihn danach zu fragen, so hätte er ohne Zweifel geschworen, dass er sich alleine um die Erzie hung seiner jüngeren Schwester Igraine gekümmert habe, denn das glaubte er tatsächlich. In Wirklichkeit war Igraine von Bruder Blaise, einem grauen Mönch, sowie den Dienerinnen auf der Burg erzogen worden, während Léo im Zuge endloser und nutzloser Ausritte über die großen Ebenen jagte und dabei sein Banner mit dem schwarzen Löwen der Carmelide im Wind schwenkte. Selbst seine Frau bekam ihn nur selten zu Gesicht.
Léo de Grand war gegen die Zwerge in die Schlacht gezogen, gegen die Grauen Elfen aus den Sümpfen und gegen die Truppen Gorlois’, ohne je diese tückische Furcht zu verspüren, die ihm an diesem Tag das Herz bedrückte. Doch es wäre undenkbar gewesen, auch nur einem Menschen von diesem dumpfen, lähmenden Entsetzen zu erzählen oder gar die Befehlsgewalt über das Heer abzulehnen. Uther hatte zu viel Blut verloren, um die Führung seiner Truppen zu übernehmen, und diese Ehre kam nun ihm als Konnetabel des Reiches von Rechts wegen zu.
Léo de Grand schüttelte sich, ließ die Zügel schnalzen und trieb sein Streitross zu leichtem Trab an. Uther hatte nicht einmal die Kraft gehabt, ihnen beim Aufbruch nachzublicken. Möglicherweise hatte sich seine Wunde entzündet. Oder vielleicht war die Klinge des Zwerges sogar mit Gift bestrichen gewesen, wer wusste schon zu sagen, was diesen unheimlichen Steinbeißern einfiel... Wie dem auch war, Uther hatte Fieber bekommen, und einige Leute hatten darin die Folge einer Verwünschung gesehen. Kaum in der Lage, sich auf den Beinen zu halten, hatte der König gerade noch die Energie gehabt, den Heerbann zusammenzurufen und den Herzog mit der Leitung des königlichen Heers zu betrauen, bevor er das Bewusstsein verloren hatte und in einen Dämmerzustand gefallen war. Seine Anweisungen waren nicht so klar gewesen, wie Léo de Grand es sich gewünscht hätte, doch der König war nicht mehr in der Lage gewesen, seine Befürchtungen zu präzisieren. Sie mussten sich in die Lande von Sorgalies begeben,
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