Die Elfen 03 - Die Stunde der Elfen
...
Carmelide galoppierte los und stürmte alsbald in die Festung hinein. Nicht ein Tier im Hof, weder Hunde noch Geflügel noch Vieh nichts. Die Stille hier war noch grauenerregender als draußen. Meylirs Mannen hielten die Waffen in der Hand und inspizierten alles bis auf den kleinsten Winkel, doch vergebens. Hier war niemand mehr. Keine einzige Waffe, kein Bund Heu, nicht die geringste Spur von etwas Essbarem. Das Fort war nur noch ein ausgehöhltes Gehäuse, innerlich völlig verwüstet, ohne jeden Hauch von Leben ...
»Dort ist nichts, Euer Gnaden«, erklärte Meylir de Tribuit, der ihn einholte. »Etwas Derartiges habe ich noch nie gesehen ...«
Léo de Grand nickte. Sein Blick schweifte nach Norden, und der alte Ritter erriet seine Gedanken.
»Sorgalles kann allerhöchstens vier bis fünf Meilen entfernt sein«, sagte er. »Zwei bis drei Stunden zu Pferd ... Das Doppelte für die Armee. Wir könnten vor Einbruch der Dunkelheit dort sein.«
Der Herzog nickte erneut. Sie mussten sich Klarheit verschaffen.
»Mach dich schon auf den Weg. Nimm die Kundschafter und die gesamte Kavallerie mit. Ich bleibe bei der Truppe, und wir werden noch vor der Vesper nachkommen.«
Meylir riss erstaunt die Augen auf und brummelte irgendeinen Protest in seinen Bart, aber Léo de Grand gebot ihm mit einer Handbewegung Einhalt, bevor er seine Einwände deutlich äußern konnte. Wie alle Ritter vermochte Meylir sich nicht auszumalen, dass eine Armee auf ihre Kavallerie verzichtet, und wahrscheinlich war er zwangsläufig der Ansicht, dass ihr Anführer hier ein unüberlegtes Risiko auf sich nahm. Doch das Herzogtum von Sorgalles war zu unwegsam für die Pferde, und sie mussten so schnell wie möglich vorankommen, das war in den Augen des Konnetabels ihr einziger verbleibender Trumpf.
»Los, mach dich auf den Weg«, forderte er ein weiteres Mal. »Und pass auf dich auf.«
Uther war bereits seit drei Tagen bewusstlos. Die Verwundung war jedoch ungefährlich ernst, aber auf keinen Fall lebensbedrohlich und rechtfertigte schwerlich den Zustand des Königs. Die Ärzte, die sich um sein Kopfende drängten, vermochten lediglich ihre Machtlosigkeit einzugestehen. Im Übrigen schien er nicht zu leiden, er atmete ruhig und lag reglos in seinem Bett, an dem die Königin und Bruder Biaise, ihr Beichtvater, Wache hielten, um mit ihren Gebeten den bösen Geist auszutreiben.
Es war bereits tiefste Nacht, und die zweite Kerze nach Matutin brannte, als der König sich zu regen begann. Igraine war eingeschlafen, und selbst Blaise war eingenickt, einer wie der andere erschöpft von den langen Stunden des Wachens. Uther begann zu stöhnen, sich unvermittelt umzudrehen, wie wild mit den Armen zu rudern, als wolle er einen unsichtbaren Feind in die Flucht schlagen, und als er aufschrie, fuhren die Königin und der Mönch aus ihrem Schlummer hoch. Er hatte seine Laken fast vollständig herausgerissen. Sein zitternder Leib war von oben bis unten mit Schweiß bedeckt. Seine Lider flatterten, und seine halboffenen Lippen schienen sich abzumühen, irgendwelche Worte zu formen. Schon hatte sich die Königin auf ihn gestürzt und versuchte, seine unkoordinierten Zuckungen zu bändigen.
»Bruder Blaise, so helft mir doch!«, kreischte sie.
»Wir brauchen Wasser«, stammelte der alte Mönch noch ganz benommen. »Wir müssen das Fieber senken ...«
Auf einmal bäumte Uther sich unter einem so jähen und heftigen Krampf auf, dass Igraine zu Boden geschleudert wurde. Im selben Moment brüllte er los, und der ganze Palast hallte von seinen irren Schreien wider.
»Feothan beom gebeddal«
»Was ruft er da?«
»Ich ... Ich weiß nicht.«
Doch Blaise war erbleicht, und Igraine wusste, dass er gelogen hatte.
»Ich möchte wissen, was er gerufen hat.«
»Das ist die heilige Sprache der Elfen ... Ich glaube, dass er gerade träumt. Nein ... Es ist mehr als das. Ich glaube, dass er erneut in ihr ist... Ich glaube, er ist ein weiteres Mal zum Pendragon geworden.«
Schatten unter Schatten, im Dunkel des Unterholzes quer durch Dornenranken und Geäst laufend wie ein Rudel Hirsche, strebten die Elfen dem Saum von Broceliande zu. Die meisten von ihnen trugen Bogen und jene langen, spitz zulaufenden Dolche, die das Volk der Bäume so liebt. Andere hatten sich mit Spießen gewappnet, und einige waren mit leeren Händen unterwegs, alle von demselben Gefühl der Dringlichkeit getrieben, demselben stummen, unbewusst empfundenen Appell, von dem sie mitten in
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