Die Elfen
fluchte. Er würde springen müssen. Und die Wahrscheinlichkeit, auf dem vereisten Stein Halt zu finden, war nicht groß.
Lange starrte er hinab. Er spürte, wie ihm die Kälte in die Glieder kroch. In dem Augenblick, in dem er aufgehört hatte, sich auf den Wärmezauber zu konzentrieren, war er wieder verloschen. Seine Finger wurden taub. Er durfte nicht länger warten!
Farodin landete auf der Strebe, doch seine Sohlen fanden keinen Halt. Halb stürzte er, halb stieß er sich ab, überschlug sich und landete mit gegrätschten Beinen auf der tiefer gelegenen Strebe. Der Schlag in sein Gemächt trieb ihm Tränen in die Augen.
Stöhnend löste er den Gürtel von der Hüfte und schlang ihn einmal um den Stein. Dann zog er das Hemd aus und verknotete einen Ärmel mit dem Gürtel. Wie mit Messern schnitt der eisige Wind in seinen nackten Rücken. Das Bleiglasfenster lag nun schräg unter ihm.
Farodin knüpfte einen dicken Knoten in das Ende des zweiten Ärmels und hoffte inständig, dass die Nähte des Hemdes solide waren. Dann schwang er sich von dem Sims. Mit einem Ruck straffte sich das Hemd. Das Leder des Gürtels knirschte auf dem rauen Stein. Pendelnd nahm der Elf Schwung. Doch der böige Wind brachte ihn immer wieder aus dem Takt. Das Fenster lag nun fast auf einer Höhe mit ihm. Langsam verloren seine steifen Finger den Halt. Noch ein Schwung… Dann ließ er los.
Klirrend zerbarst das Fenster unter seinen Stiefeln. Glas schnitt ihm in die Arme. Er prallte hart auf den Boden und rollte sich ab. Warmes Blut sickerte aus einem Schnitt in seiner Stirn.
Schwer atmend blieb er liegen. Er war davongekommen! Zunächst vermochte er nichts anderes zu tun, als einfach nur die Decke über sich anzustarren. Er lebte! Offenbar hatte bei dem Heulen des Sturms niemand gehört, wie das Fenster zerbrochen war.
Es dauerte einige Zeit, bis Farodin sich des tiefen Dröhnens bewusst wurde, das durch den Turm hallte. Ein Gong schlug. Das Feuer!
Rauchschwaden zogen an dem Barinstein unter der Decke vorbei. Der Qualm wurde schnell dichter. Benommen setzte Farodin sich auf. Seine Augen tränten.
Er riss sich einen Streifen Stoff von der Hose und presste ihn sich auf Mund und Nase. Der Rauch würde ihm die Flucht erleichtern, wenn er ihn nicht umbrachte.
ELODRINS LIED
»Wir können nicht mehr länger warten. Bald steht die Flut so hoch, dass wir nicht mehr aus der Höhle kommen. Dann sitzen wir hier auf Stunden fest!«
Mandred hatte sich schlotternd eine Decke um die Schultern geschlungen. Das Getöse der steigenden Flut hallte von den Wänden der Grotte wider. Der Jarl fühlte sich elend. Er war den Elfen hilflos ausgeliefert. Sie waren mit ihm quer durch den Fjord geschwommen. Landal, ein hagerer, blonder Elf, hatte ihn beim Bart gepackt und hinter sich her gezogen. Sein Zauber hatte Mandred davor bewahrt, im eisigen Wasser zu sterben. Dennoch fühlte er sich mehr tot als lebendig. Die Kälte war ihm tief in die Knochen gedrungen. Er lag auf dem Boden des Boots in mehrere Decken gehüllt und konnte sich kaum bewegen.
»Bringt das Boot aus der Grotte«, kommandierte Elodrin und trat an das Steuerruder im Heck. »Wir werden draußen im Fjord warten. Dort sitzen wir wenigstens nicht in der Falle.«
Die übrigen Elfen legten sich in die Riemen. Gegen die starke Strömung am Höhleneingang anzukämpfen forderte ihnen alle Kraft ab. So hoch stand das Wasser, dass das Boot immer wieder mit dem geschwungenen Vordersteven gegen die Decke schlug. Es sah schon so aus, als wäre es zu spät, der Höhle noch zu entkommen, als der kleine Segler plötzlich einen Satz nach vorn machte. Dann waren sie frei.
Mit großem Geschick steuerte Elodrin sie durch die Riffe und Untiefen, bis sie schließlich in das tiefe Fahrwasser in der Mitte des Fjords gelangten. Erschöpft kauerten die Elfen entlang der Bordwand und erholten sich vom Kampf mit der See. Nur Elodrin stand im Heck. Unruhig spähte er in den dichten Nebel hinaus.
»Ein mächtiger Zauber wird gewirkt«, sagte er leise. »Überall spüre ich Magie. Wir sollten hier nicht bleiben.«
»Wir werden auf Farodin warten!«, beharrte Mandred.
»Das ist nicht klug.« Der alte Elf deutete voraus, dorthin, wo jenseits des Nebels die Nachtzinne liegen musste. »Farodin ist hierher gekommen, um zu sterben.«
»Nein, du kennst ihn nicht. Er hat sein Leben ganz der Suche nach seiner Geliebten geweiht. Er wird hier nicht sterben.«
Elodrin lächelte müde. »So gut kennst du also die Seele der
Weitere Kostenlose Bücher