Die Elfen
mag die Bestie eines Tages ihren Weg zu uns finden. Öffnen wir das Tor, mag es sein, dass Elfenblut vergossen wird, um den Menschen zu dienen. Ihr habt die Wahl.« Alvias deutete mit sanfter Geste auf Emerelle. »Ratet der Königin, wie sie sich entscheiden soll!« Mit diesen Worten kehrte Alvias zu Emerelle zurück und verbeugte sich vor ihr.
Die Blicke der Anwesenden wanderten zwischen dem Tor und der Königin hin und her. Bald wurden die ersten Stimmen laut, die Emerelle rieten, sie solle das Tor öffnen. Es gab aber auch etliche, die sich dagegen aussprachen. Noroelle sah, dass Nuramons Verwandtschaft dazugehörte. Sie hatte es nicht anders erwartet. Die Angst stand ihnen ins Gesicht geschrieben; doch es war nicht die Angst um Nuramon, sondern die um Nuramons Tod und dessen Folgen.
Die Königin fragte den einen oder anderen, wieso er sich für dieses oder jenes entschieden hatte, und lauschte geduldig den Erklärungen. Dieses Mal hörte sie sich mehr Stimmen an als sonst. Als sie Elemon fragte, einen Onkel Nuramons, wieso er das Tor geschlossen sehen wollte, sagte dieser: »Weil daraus, wie Alvias sagte, Ungemach erwachsen kann.«
»Ungemach?« Die Königin musterte ihn eindringlich. »Du hast Recht. Das mag geschehen.«
Nun trat Pelveric aus Olvedes vor. Sein Wort zählte viel bei den Kriegern. »Emerelle, bedenke das Elfenblut, das vergossen werden könnte. Warum sollen wir den Menschen helfen? Was gehen uns deren Schwierigkeiten an? Wann haben sie uns das letzte Mal geholfen?«
»Das ist lange her«, war alles, was Emerelle zu Pelveric sagte. Schließlich wandte sie sich Noroelle zu und flüsterte: »Deinen Rat will ich hören.«
Noroelle zögerte. Sie könnte der Königin raten, das Tor geschlossen zu halten. Sie könnte wie so viele von Elfenblut und der Undankbarkeit der Menschen sprechen. Doch sie wusste, dass aus solchen Worten nichts anderes als die Angst um ihre Liebsten spräche. Hier aber ging es um mehr als um sie. Leise sagte sie: »Mein Herz hat Angst um meine Liebsten. Und doch ist es richtig, das Tor zu öffnen.«
Die Königin erhob sich würdevoll. Das Rauschen des Wassers an den Wänden schwoll langsam an. Mehr und mehr Wasser drang aus den Quellen, lief die Wände hinab und ergoss sich rauschend in die Bassins. Emerelles Blick war auf das Tor gerichtet. Sie schien nicht zu bemerken, wie sich der glitzernde Wasserdunst in der Luft verteilte, nach oben zur weiten Deckenöffnung des Saales stieg und dort unter dem Licht der Sonne einen breiten Regenbogen erscheinen ließ. Plötzlich glühten die Wände hinter dem Wasser auf. Es zischte, und ein Lufthauch wehte durch den Saal. Die Torflügel schlugen zur Seite und gaben den Blick auf die Jagdgemeinschaft frei. Das Wasser beruhigte sich, doch der Dunst und der Regenbogen blieben.
Die Gefährten verharrten kurz unter dem Torbogen, bevor sie eintraten. An der Spitze ging Mandred der Menschensohn, der mit großer Verwunderung den Regenbogen betrachtete, dann aber der Königin entgegenblickte. Links und rechts dahinter kamen Farodin und Nuramon, hinter ihnen wiederum Brandan der Fährtensucher, Vanna die Zauberin, Aigilaos der Bogenschütze und Lijema die Wolfsmutter. Es war ungewohnt, einen Menschen als Teil der Elfenjagd zu sehen, obwohl er von seinem Wesen her den Elfen ähnlicher war als Aigilaos der Kentaur. Doch in all den Jahren hatte man sich daran gewöhnt, dass Kentauren Teil der Elfenjagd sein mochten. Aber ein Mensch? Dass Mandred an der Spitze ging, ließ das Geschehen noch befremdlicher erscheinen. Stets hatte ein Elf die Jagd angeführt.
Nuramon und Farodin erinnerten an die Helden der Sage. Farodin bot wie gewohnt einen makellosen Anblick, während Nuramon erstmals auch in den Augen der anderen dem Ideal entsprach. Noroelle konnte es deutlich in den Gesichtern der Umstehenden erkennen. Sie freute sich darüber. Selbst wenn sein Ansehen nur von kurzer Dauer sein sollte, diesen Augenblick konnte ihm keiner nehmen.
Die Gemeinschaft schritt der Königin entgegen. Als sie vor der Treppe zum Thron angekommen waren, beugten die Elfen das Knie vor Emerelle, und selbst der Kentaur war bemüht, sich so weit wie möglich zu neigen. Nur Mandred blieb aufrecht stehen, er schien von der Art der Ehrerbietung seiner Gefährten überrascht zu sein. Er war im Begriff, es ihnen nachzutun, als die Königin sich in seiner Sprache an ihn wandte. »Nein, Mandred. In der Anderen Welt bist du der Jarl deiner Gemeinschaft - ein Menschenfürst. Du
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