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Die elfte Geißel

Die elfte Geißel

Titel: Die elfte Geißel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aurélien Molas
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dunklen Ringe um ihre Augen fesselten ihn. Er sah, wie die Augen tränenfeucht wurden.
    »Glauben Sie mir nicht? Sie haben sie getötet, und ich bin die Nächste! Weder Sie noch irgendjemand sonst kann mich schützen!«, schrie sie, und ihr traten Tränen in die Augen. »Ich ... ich kann Ihnen nur sagen, dass noch achtundvierzig Stunden bleiben ...«
    »Achtundvierzig Stunden, bis was geschieht?«
    »Bis die Kinder wieder auftreten.«

54
Nanterre,
Räumlichkeiten der OCLCTIC
    »Achtundvierzig Stunden? Was bedeutet das, verdammt noch mal?«
    »Keine Ahnung. Zoé muss sie in die Mangel nehmen, um sie zum Reden zu bringen.«
    Léo folgte der Kommissarin ins Informatiklabor des Dezernats. Mit hastigen Schritten betraten sie einen langen Raum voller entbeinter Computer, Zentraleinheiten, Kabel und verstreut herumliegender Bauteile. Zwei Ingenieure beugten sich über einen Laptop, der an einen Kontrollbildschirm angeschlossen war, und notierten die einzelnen Schritte, die sie durchführten.
    »Wie weit sind Sie?«
    »Schwer zu sagen. Das Archivierungssystem ist besser gesichert als ein Safe.«
    Der Ingenieur zeigte mit der Spitze eines Schraubenziehers auf die codierten Daten der Hauptplatine, die auf dem zweiten Bildschirm angezeigt wurden. Zahlenkolonnen liefen in einem gleichbleibenden Rhythmus über den Bildschirm.
    »Bis jetzt haben wir nichts Kompromittierendes gefunden. Entweder hat sie ihren PC gründlich gesäubert oder es war noch nie etwas drauf.«
    »Unmöglich. Es muss Spuren geben. Was ist mit ihren Dokumenten, ihren E-Mails? Irgendwas Auffälliges? Sie hat erwähnt, dass sich in achtundvierzig Stunden irgendein Vorfall ereignen soll – habt ihr da was herausgefunden?«
    »Nein, bislang nicht. Wir haben alles genau unter die Lupe genommen. Ah, doch ... Moment ...«
    Der Ingenieur klickte, um zu den Dokumenten von Clarisse Katz zurückzukehren. Er öffnete einen Ordner mit der Bezeichnung »Dissertationen«, worauf etwa dreißig Texte angezeigt wurden. Er klickte auf »Dissertation: Die Gesellschaft, in der die Kinder Könige sind«.
    »Wir haben das hier gefunden. Es scheint die Dissertation einer ihrer Studentinnen zu sein. Wir haben sie quergelesen. Es ist ziemlich verstörend. Mehrfach kommt das Wort ›Pädophiler‹ vor.«
    »Wer hat sie geschrieben?«
    »Eine gewisse Amandine Clerc. Es findet sich keine Adresse. Nur ihre Telefonnummer. Wir haben versucht anzurufen, aber da war nur der Anrufbeantworter.«
    »Leitet einen Vermerk darüber an Zoé im Vernehmungszimmer weiter. Sie soll versuchen, mehr über diese Amandine in Erfahrung zu bringen.«
    Der Ingenieur fragte:
    »Frau Kommissarin, sind Sie sicher, dass man bei der Durchsuchung nicht mehr gefunden hat? Keine CD? Keine austauschbare Festplatte?«
    »Drei Beamte haben die Wohnung auf den Kopf gestellt. Alles, was sie gefunden haben, befindet sich hier.«
    Die Kommissarin wandte sich zu Léo um:
    »Apolline, glauben Sie, dass Sie damit klarkommen?«
    Er nickte. Die Ingenieure überließen ihm ihre Aufzeichnungen und verließen das Labor. Léo setzte sich hin und konzentrierte sich.
    Der Rechner erwartete ihn auf dem Operationstisch wie ein riesiges neuronales Netzwerk, das er auseinandernehmen sollte. Er überlegte, wie lange er bräuchte, um bis zum Festplattenspeicher des Rechners vorzustoßen – den Schaltkreisen bis zur Verschlüsselung zu folgen, auf den Speicher zuzugreifen und endlich die Dateien wiederherzustellen. Drei hochkomplexe Operationen. Normalerweise brauchte man mehrere Tage, um das System komplett zu zerlegen.
    Er hatte nicht so viel Zeit.
    Er hatte nur ein paar Stunden.

55
Paris, Nanterre,
Büros der OCLCTIC
    Ein alarmierendes Dröhnen.
    Léo achtete nicht weiter darauf – er konzentrierte sich auf die gelöschten Geheimnisse, die die Festplatte in sich barg.
    Die Zeit war verschwunden. Geblieben war nur das Gefühl höchster Dringlichkeit. Er konnte den Blick nicht vom Bildschirm abwenden. Schicht für Schicht folgte er dem verschlungenen Weg und grub sich immer tiefer zum Speicher des Computers von Clarisse Katz vor.
    Er hatte nur fragmentarische Indizien entdeckt, die allein durch Hypothesen miteinander in Verbindung gebracht werden konnten. Obwohl das System gesäubert worden war, hatten sich Spuren von Fotos und Videos erhalten. Ihre numerischen Koordinaten ließen sich nur lückenhaft rekonstruieren – ähnlich wie bei einem Gemälde, dessen Farben verblichen und wo nur die Konturen erhalten geblieben

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