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Die elfte Geißel

Die elfte Geißel

Titel: Die elfte Geißel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aurélien Molas
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Overheadprojektor. Die Buchstaben der beiden Schriftzüge fügten sich in Felder ein.
    »Wenn man berücksichtigt, dass sie nicht mit denselben spitzen Gegenständen geschrieben wurden, kann ich Ihnen versichern, ohne mich zu weit vorzuwagen, dass diese Botschaften von ein und demselben Kind geschrieben wurden.«
    Blandine gelang es nicht, sich der Anziehungskraft der Buchstaben an der Wand zu entziehen. Sie konnte die Verzweiflung von Alice gewissermaßen in doppelter Ausfertigung lesen.
    »Sie haben mir noch nicht gesagt, woher diese Inschrift stammt.«
    »Ein junger Polizist hat sie bei einem Einsatz entdeckt und mich um Hilfe gebeten.«
    »Was für ein Einsatz?«
    »Ich weiß es nicht genau. Ein Fall von Pädophilie, in einem Haus außerhalb von Paris, wenn ich es richtig verstanden habe. Der Beamte hat mir einen Satz Fotos überlassen, damit ich mir eine genauere Vorstellung von den Örtlichkeiten machen kann.«
    Er entnahm der Aktenmappe eine Reihe von Abzügen, die er auf dem Schreibtisch ausbreitete. Darauf war das Innere eines Hauses aus allen erdenklichen Gesichtswinkeln und in allen möglichen Einstellungen zu sehen. Blandine erkannte die Inschrift, die in eine Ecke eines offenbar ziemlich heruntergekommenen Kellers geritzt worden war. Eine Großaufnahme enthüllte einen fensterlosen Raum, dessen Wände von Schimmel und dunklen Flecken überzogen waren, die sie erst nach einiger Zeit als Blut erkannte. Sie unterdrückte einen Schrei des Erstaunens, als ihr Blick auf die Außenaufnahme des Hauses fiel. Sie hatte es schon einmal irgendwo gesehen.
    »Unmöglich ...«, stammelte sie.
    Sie legte die Fotos nebeneinander und kniff die Augen zusammen, in der Hoffnung, das Gefühl eines Déjà-vu-Erlebnisses ginge weg. Aber das half nicht. Diese runden Fenster. Dieser Rasen. Dieses Schwimmbecken von einem unwirklichen Türkisblau.
    Und diese Tür.
    Diese grell blutrote Tür!
    Amandine hatte Fotos von diesem Haus an die Wände ihres Schlafzimmers gepinnt. Die große Aufregung in Verbindung mit der Unterzuckerung zwang sie dazu, sich zu setzen.
    »Wie heißt der Polizist, der Ihnen diese Fotos gebracht hat?«
    »Léopold Apolline, Lieutenant Léopold Apolline.«

53
Nanterre,
Räumlichkeiten der OCLCTIC
    Léopold eilte mit hastigen Schritten durch die Gänge des Polizeipräsidiums von Nanterre; er versuchte sich auf das zu konzentrieren, was gleich passieren würde. Zoé erwartete ihn, nervös rauchend, vor den Vernehmungszimmern. Sie deutete auf die Tür, hinter der sich Stairway to Heaven befand.
    »Du hast nicht viel Zeit, der Anwalt ist bereits unterwegs. Alles, was du wissen musst, ist da«, sagte sie, wobei sie ihm die Akte hinhielt, die sich auf die verdächtige Person bezog.
    Léo nahm sich nicht die Zeit, sie durchzublättern. Er strich mit der Hand über sein Hemd, um es zu glätten, und kämmte sich noch einmal flüchtig.
    »Wie lief die Festnahme?«, fragte er.
    »In aller Ruhe. Sie hat keinen Widerstand geleistet. Es ist seltsam, sie wirkte verängstigt und zugleich erleichtert.«
    »Sie?«, entfuhr es Léo.
    »Ganz genau. Stairway to Heaven ist eine Frau.«
    »Bist du dir sicher? Kein Zweifel?«
    »Die Spyware wurde auf ihrem Computer gefunden. Ich hab’s zweimal überprüft.«
    »Glaubst du, dass sie jemanden deckt?«
    »Diese Frage musst du ihr stellen.«
    Als er den fensterlosen Raum betrat, sah er sich einer verstörten jungen Frau gegenüber, einer zerlumpten Stoffpuppe. Ihre weiße Haut war von einem Ausschlag überzogen – kleine rote Flecken auf den Wangen und am Hals, wie von einem Ekzem. Dunkle Ringe unter den Augen unterstrichen einen Gesichtsausdruck, der echte Angst verriet.
    Der Lieutenant nahm gegenüber der jungen Frau Platz und starrte sie an. Pädophile Frauen waren so seltene Sonderfälle, dass sie noch immer mit einem Tabu belegt waren. Während seiner Laufbahn hatte Léo nur zwei kennengelernt. Die erste war eine Tagesmutter, die die Jungen, die sie beaufsichtigte, zum Austausch von Zärtlichkeiten verführte. Sie hatte gestanden, Fellatio praktiziert und wenigstens drei der Jungen zu Cunnilingus gezwungen zu haben. Die zweite war selbst ein ehemaliges Missbrauchsopfer. Im Rahmen einer schwierigen Beziehung zu einem kleinen Gauner hatte sie bei der mehrfachen Vergewaltigung ihrer achtjährigen Tochter mitgemacht und sich schließlich zusammen mit ihr prostituiert. Der für diesen Fall zuständige Richter hatte ihre Einweisung in eine psychiatrische Klinik angeordnet.
    »Nennen

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