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Die elfte Geißel

Die elfte Geißel

Titel: Die elfte Geißel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aurélien Molas
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eingetragen ...«
    Ihm wurde schummrig. Die Zeit schien stillzustehen.
    »Könnten Sie mir jetzt mal erklären, was los ist? Léopold? Hallo? Hallo?«
    Er legte auf, ohne zu antworten. Die Vergangenheit kollidierte mit der Gegenwart.
    Die Familie Deloges hatte ihren Namen gewechselt.
    Alice Deloges und Amandine Clerc waren ein und dieselbe Person.

56
Dijon,
Sondereinheit
    Broissard ließ seine Gelenke knacken, als er sich streckte. Der Schlafmangel machte sich auf schmerzliche Weise bemerkbar. Weder er noch Carrère hatten Ruhe gefunden. Sie waren den Tag und die Nacht durchgefahren, hatten sich am Steuer abgewechselt und Kilometer um Kilometer hinter sich gebracht. Ihre einzige Entspannung seit ihrer Rückkehr an Land waren ein Club-Sandwich und literweise Kaffee gewesen. Alle beide träumten von einer echten Mahlzeit, von einem Whirlpool und von einer Nacht mit sechsunddreißig Stunden.
    Die Adresse, die sie auf dem Boden des Kartons gefunden hatten, war die eines Montagestudios, das den Film Neverland herausgebracht hatte. Sie hatten sie einfach im Telefonbuch nachgeschlagen.
    Videothek. Ein unscheinbarer DVD-Verleih in Chenôve, einem Vorort von Dijon.
    Broissard kontaktierte gegen sieben Uhr morgens Christian Franju und bat ihn, in den Strafvollzugs- und Verwaltungsarchiven über den Mieter zu recherchieren. Eine Stunde später erhielt er per E-Mail den Strafregisterauszug. Alain jubelte. Sie hatten ihren Mann.
    Auszug Nummer 3. Der Ladenbesitzer war zu acht Jahren verurteilt worden, weil er kinderpornografisches Material in Verkehr gebracht hatte. Broissard las die großen Linien diagonal. Ein ehemaliger Regisseur von Werbefilmen. Verliert 1993 seine Arbeit und wird im selben Jahr geschieden. Verdingt sich als Cutter für Amateurpornos. Wird 1995 eingebuchtet. Wird unter Auflagen auf freien Fuß gesetzt und zieht einen Videoclub auf. Keine weiteren Verurteilungen.
    Um 10 Uhr rief er in der Wohnung des Verdächtigen an. Um 10.10 Uhr erklärte sich dieser bereit, auszusagen, sofern er in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen würde. Alain log ihn an und sagte ihm alles zu, was er wollte.
    Der Tag begann mit strahlendem Sonnenschein, und er hatte das Gefühl, dass ihm Flügel wachsen.
    Der Wagen fuhr langsam durch die verwüsteten Außenbezirke von Dijon. Die Ausschreitungen schienen sich wie eine Seuche ausgebreitet zu haben. Das verkohlte Gerippe eines Busses stand quer auf der Fahrbahn. Der Rauch des Brandes hatte die Fassaden bis zum dritten Stock geschwärzt.
    »Siebenundzwanzig ... neunundzwanzig. Da sind wir.«
    Carrère beugte sich zur Scheibe vor und deutete mit dem Zeigefinger auf einen gewöhnlichen Laden mit einer verblichenen blauen Fassade; am Schaufenster klebten Werbeplakate für Pornofilme.
    »Park den Wagen da!«
    Sie hielten in einer Querstraße, die von zwei Wohnblocks eingeklemmt wurde. Die zerbrochene rote Leuchtreklame eines Lebensmittelladens blinkte. Die Aufheiterung war nur von kurzer Dauer gewesen. Der Regen begann auf die Karosserie und die Gehsteige niederzuprasseln und jagte die letzten Passanten in die Flucht.
    Broissard sank auf seinem Sitz zusammen und ließ einige Minuten verstreichen. Übermüdung und Erregung wetteiferten in ihm. Er zählte bis zehn und nahm seine Waffe aus dem Handschuhfach.
    »Wollen Sie wirklich, dass ich nicht mitkomme?«
    »Er will allein mit mir sprechen. Keine Angst, alles wird gut gehen.«
    Er schlug die Tür hinter sich zu und wiederholte, ohne sich dessen bewusst zu sein, den Satz, wobei er versuchte, mehr Überzeugungskraft in seine Stimme zu legen. Der Regen trommelte gegen seinen Schädel, und einige Tropfen glitten über seinen Rücken. Er schlug seinen Kragen hoch und überquerte die Straße im Laufschritt, wobei er in vollen Zügen den warmen Teergeruch einatmete.
    Broissard schlug dreimal gegen das Metallgitter vor dem Laden. Keine Antwort. Das Gesicht ans Schaufenster drückend, sah er, dass das Innere in Dunkelheit gehüllt war. Auf seinem Handy wählte er die Nummer des Vermieters. Durch das Grollen des Gewitters hindurch hörte er eine Melodie im Laden. Er ließ es läuten, aber niemand hob ab. Der Regen wurde stärker, setzte die Gehsteige unter Wasser und riss den Unrat mit sich in die Rinnsteine. In der Mitte der menschenleeren Straße, die von dem sintflutartigen Regen überspült wurde, quietschte das Buswrack und schwankte bedrohlich.
    Er ging um die Videothek herum und schlich in einen schmalen Innenhof hinein, in dem dicht

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