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Die elfte Geißel

Die elfte Geißel

Titel: Die elfte Geißel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aurélien Molas
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machte die Tatsache, dass er wegen Vergewaltigung eines kleinen Mädchens verurteilt worden war, aus ihm vom ersten Tag an einen Toten auf Abruf. Dass Étienne Caillois so lange überlebt hatte, verdankte er allein dem Zufall.
    Oder einer Form der Gerechtigkeit, die der menschlichen unendlich überlegen war, dachte Maxime. Hinter dem Ohr des Häftlings fiel ihm ein in die Haut geritztes »P« auf.
    Pädophiler.
    Parallele Schnitte neben dem »P« standen für die Zahl der Vergewaltigungen durch Mithäftlinge. Maxime zählte sechs.
    Der Kommissar, der auf dem Gang stand, hatte das Gefühl, dass das ganze Gefängnis einschrumpfte und sich ihm die Wände gefährlich näherten.
    »Kommst du?«, brüllte der Bär hinter ihm.

48
Paris,
Gefängnis La Santé,
Mordkommission
    Sie betraten die Toilette für das Personal, die in einem keimfreien Weiß gehalten war, und stellten sich vor die Pissoire. Der Tumult im Zellenblock war nur noch ein Murmeln, das durch das irritierende Knistern der Leuchtstoffröhren gedämpft wurde.
    Der Häftling, Étienne Caillois, warf ängstliche Blicke auf die drei Männer, die um ihn herum standen. Er wich zurück und presste sich gegen die Porzellanschale eines Pissoirs, wobei er unwillkürlich die Spülung auslöste. Er wagte weder zu sprechen noch sich zu rühren, und so durchnässte das Wasser seine Hose und tröpfelte in seine Schuhe hinein.
    »Du weißt, warum wir hier sind, nicht wahr?«
    Der Häftling hob den Kopf, um in dem bleichen Neonlicht den Mut zu finden, auf die Frage zu antworten. Maxime ging auf ihn zu, strich sich mit der Zunge über die Lippen und fuhr ihn an:
    »Du erinnerst dich doch an Alice, oder? Wie hättest du sie vergessen können ...«
    Der Häftling verkrampfte sich und fasste etwas Mut, um sich von dem Pissoir zu lösen.
    »Sie wissen, dass das nicht stimmt, verdammt!«
    Maxime bedeutete dem Oberaufseher, im Gang auf sie zu warten.
    »Der Kommissar und ich waren unangenehm überrascht, als wir unsere Namen in den Anzeigen entdeckten, die du ans Dezernat für interne Ermittlungen und an deinen Anwalt schicken wolltest. Wir waren sehr enttäuscht, als wir gelesen haben, was du über uns geschrieben hast.«
    Er öffnete einen Wasserhahn, seifte sich die Hände ein und strich mit den nassen Händen die Haare nach hinten glatt.
    »Aber wie du feststellen konntest, haben die Mauern hier Augen und Ohren.«
    »Wir wollen wissen, was sie dir bei ihrem Besuch gesagt hat.«
    Maxime Kolbe hielt ihm die Fotos einer jungen Frau hin, die sie beim Verlassen des Gefängnisses zeigten. Caillois stotterte:
    »Sie hat mir nichts gesagt ... Ich wurde ins Besuchszimmer gerufen, und sie war da ... Sie hat fast kein Wort mit mir gewechselt ... Sie weiß nichts ... ich schwör’s!«
    »Hältst du uns für blöd? Du weißt genauso gut wie wir, was passiert wäre, wenn wir nichts für dich getan hätten. Wir wollen nur wissen, wie es dazu kam, dass sie über uns gesprochen hat, und was sie wusste. Wir haben dir aus der Klemme geholfen, vergiss das nicht.«
    Étienne Caillois stieß Rilk zurück.
    »Aus der Klemme geholfen? Das nennt ihr ›aus der Klemme geholfen‹? Das ...«, ereiferte er sich. Er bebte vor Wut und zeigte auf sechs Schnittnarben an seinem Hals.
    »Wenn du es so sehen willst ...«
    »Saubande ... Ihr habt mich mit euren Versprechungen reingelegt, aufs Übelste reingelegt! Aber ich schwöre, dass ich euch abknalle! Einen nach dem anderen!«
    »Du schwörst ein bisschen zu viel, mein Junge ...«
    Seine Lippen platzten auf, als ihn die Faust des Kommissars traf. Der Häftling wankte unter dem Schlag und versuchte das Gleichgewicht wieder zu finden, indem er mit den Händen nach einem Halt suchte.
    Étienne Caillois spuckte Blut. Er hatte bohrende Schmerzen in der Magengrube, und er musste sich übergeben. Der Geruch von Erbrochenem erfüllte augenblicklich die Toiletten. Blut und schlechtes Essen strömten in beiden Richtungen durch seinen Schlund.
    Maxime krümmte sich.
    Sein Herz schlug zu stark.
    Viel zu stark .
    Der Rausch der Gewalt stieg ihm zu Kopfe. Er biss sich in die Faust, um seinem Zittern Einhalt zu gebieten.
    Étienne Caillois hatte wieder einen lichten Moment. Er kroch rückwärts und riss die Augen auf, um die Szenerie und die Positionen seiner Peiniger mit einem Blick zu umfassen. Es gelang ihm, die Augen auf Kommissar Kolbe zu heften, und er versuchte zu sprechen. Knurrende Laute brachen aus ihm hervor. Er schluckte Speichel und Gallenflüssigkeit

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