Die elfte Geißel
verzog er das Gesicht. Er taumelte zu den Kartonstapeln und entdeckte eine Leiche, die, das Gesicht zum Boden gewendet, den Finger noch am Abzug eines Gewehrs, in ihrem Blut schwamm.
50
Nordsee,
Sondereinheit
Schnell handeln.
Broissard fragte sich, mit welchem Sicherheitssystem die Plattform ausgerüstet worden war. Einem stillen Alarm? Einem Radar mit Kalman-Filter? Hatte Montoya bereits seine Männer losgeschickt? Jede weitere Minute, die sie auf der Plattform verbrachten, erhöhte das Risiko.
Er hob die Augen zu den Tausenden von Kartons, die sich hier stapelten; er wusste, dass ein jeder die abartigsten Perversionen in sich barg. Das Glasdach ragte gut zehn Meter hoch auf. Der Hangar schien unendlich groß zu sein und sich auf eine parallele Dimension zu öffnen, der ihn von innen größer erscheinen ließ als von außen. Er hatte das Gefühl, die Büchse der Pandora geöffnet zu haben.
Mit einem Cutter-Messer schlitzte er aufs Geratewohl einen Karton auf. Unter Polystyrol-Kügelchen waren Dutzende von DVDs mit skatologischen Pornofilmen aufgestapelt. Er ließ ein Kügelchen durch die Finger gleiten. In Form und Größe entsprachen sie genau jenen, die er im Laderaum der Dolly Bell aufgelesen hatte.
Er ging zu den sechs gefesselten Männern und schritt sie der Reihe nach ab. Typische Knastbrüder. Kräftige Lagerarbeiterarme. Seine Aufmerksamkeit richtete sich auf zwei Latinos, die sich vom Rest abhoben. Er ging vor einem etwa dreißigjährigen jungen Mann mit dunklem Teint in die Hocke und redete nicht lange um den heißen Brei herum:
»Wir sind schnell fertig, wenn du willst. Wo sind die pädophilen Filme?«
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst, pendejo .«
» Escúchame: Wir hatten genug Emotionen für heute, und ich sag dir ganz offen, dass mein Kollege und ich ziemlich angespannt sind. Beantworte also meine Frage: Wo ist das Register?«
»Ich nix versteh’n ... no hablo francés ...«
Broissard verpasste ihm einen Schlag gegen den Adamsapfel. Ein zweiter brachte den Knorpel zum Bersten, worauf der Latino bewusstlos wurde. Er versetzte ihm ein paar Klapse, um ihn wiederzubeleben, und drückte die Fingernägel in Drosselvenen.
»Aber klar sprichst du Französisch. Wo ist das Register? Entiendes ?«
Der junge Mann schüttelte den Kopf, und so stand der Polizist auf und trat an eine Reihe von Kartons heran. Der Stapel schwankte, und die oberen Kartons purzelten herunter und platzten auf dem Boden auf. DVDs flogen in alle Richtungen heraus.
Sylvain Carrère hob eine Hülle auf und schüttelte den Kopf, als er das Foto eines kleinen Mädchens auf allen vieren sah, in dessen ausgestrecktem Hintern bis zum Anschlag eine Klistierspritze steckte. Er entzündete sein Feuerzeug und hielt die Plastikhülle in die Flamme. Unter der Einwirkung der Hitze entspannte sich das Mädchen, das wie eine Windhündin gebaut war, und sein von Schwellungen überzogenes Gesicht bekam Risse und verformte sich zu einer gespaltenen Fratze. Er wartete, bis sich das Gehäuse in eine Fackel verwandelte, ehe er sich dem jungen Mann näherte und zischte:
»Ich werde dich lehren, zu antworten ...«
Die Flamme schwoll an, brachte das Plastik zum Schmelzen und verwandelte es in Teer, der in glühenden Tropfen auf den Jogginganzug fiel. Broissard ließ ihn machen. Sie hatten keine Zeit mehr für eine Nummer, wo der eine den guten und der andere den bösen Polizisten spielte. Der Nylonstoff knisterte und schmolz, kleine Löcher hinterlassend. Brennende Tropfen begannen die Haut an den Schenkeln zu verbrennen. Der Mann schrie, wand sich, um dem Feuerregen auszuweichen, und stieß zwischen den Zähnen hervor:
» Hijo de puta! Me voy a joder tu madre! «
»Auf Französisch!«
»Keine Ahnung. Ich transportiere nur die Kartons. Ich weiß nicht, was drin ist!«
»Willst du mich für dumm verkaufen?«
Das Plastik brannte weiter. Der Mann verrenkte sich und schüttelte seinen Schenkel, um das höllische Brennen zu lindern.
» Te cago jodido. Vas a morir ...«
Carrères Faust traf ihn mit voller Wucht im Gesicht.
»Sag uns, wo wir Neverland finden.«
»Ich weiß nicht, wovon ...«
Der Brigadier hielt die DVD über seinen Kopf, und er brach mitten im Satz ab. Seine Augen weiteten sich vor Entsetzen, als die ersten Tropfen auf seine Kopfhaut fielen. Ein leichter Geruch nach versengten Haaren und verbrannter Haut breitete sich in der Luft aus. Kleine rote Brandblasen bildeten sich auf der Stirn des Latinos, der den Kopf
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