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Die elfte Jungfrau

Titel: Die elfte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Und woraus schließt du, dass er ihr Freund ist?«
    »Sind zweimal zusammen in der Schenke gesehen worden.«
    »Könnte ja auch zufällig sein.«
    Aber eigentlich glaubte Almut das nicht. Die strahlende Laune Azizas hatte sie so etwas schon vermuten lassen.
    »Jetzt ist der Priester ins Haupthaus gegangen, Ihr könnt also wieder rauskommen.«
    Sie war kaum vor die Tür getreten, als der nächste Besucher an der Pforte eingelassen wurde. Es war der junge Steinheuer, der sich nach Almut erkundigte und seine Hilfe beim Einbau der Rosette anbot.
    »Hier geht’s ja heute zu wie im Taubenschlag!«, meinte Almut, aber sie lächelte den Parler an, der sich daraufhin verlegen die Hände an seinem Kittel abwischte.
    »Habt Ihr Schäden durch den Sturm gehabt?«
    »Nicht viele. Ein paar lockere Leyen, ein umgestürztes Gerüst, ein paar zerborstene Ziegel. Euren Steinmetzarbeiten ist nichts geschehen.«
    Sie wollten sich eben an das Ausmessen der Fenster machen, was Pitter mit fachmännischem Blick beobachtete, als Magdas Stimme über den Hof schallte.
    »Almut!«
    »Ja, Meisterin?«
    »Komm ins Refektorium, der Schreinemaker hat sein Werk abgeliefert.«
    »Pitter, kehr den Rest raus und hol dir dann einen Schoppen. Ich muss zu unserer Meisterin! Florens, wollt Ihr mitkommen? Es mag auch Euch interessieren, was sie zu zeigen hat.«
    Er nahm die Einladung an, und auch Pitter schlich sich neugierig hinter ihnen her. Bela folgte ihnen mit einigem Abstand und blieb nahe der Tür stehen. Im Refektorium hatte man sich um den Tisch versammelt, auf dem ein geschlossener Schrein stand, der die Form eines Kirchturms hatte. An seiner höchsten Stelle war er fast zwei Ellen hoch, und das helle Holz war glänzend poliert. Wie auch der Dom, so hatte er mit Fialen besetzte Strebepfeiler, zierlich unterteilte Bogenfenster und ein mit Ornamenten versehenes Portal, sodass er wie aus Spitze gefertigt aussah.
    »Meisterhaft«, murmelte Florens mit aufrichtiger Bewunderung.
    »Wahrhaftig. Ein Kunstwerk.«
    »Man kann dieses Portal öffnen!«, erklärte Claas und nickte Magda zu. Die berührte vorsichtig die beiden Flügel und zog sie auf. Ein Seufzer der Bewunderung durchzog den Raum. Auch das Innere des Schreins war sorgfältig geschnitzt, filigranes Maßwerk, Bogen und Säulenkapitelle bildeten eine harmonische Aufteilung des Raumes und lenkten den Blick in die - leere - Mitte.
    »Was soll dort sein Heim finden, Frau Magda?«, wollte Pater Leonhard wissen und näherte sich mit ausgestreckten Fingern dem Kunstwerk. Clara schob sich unauffällig vor und verstellte ihm den Weg. Er war gezwungen, seine Hand zurückzuziehen. »Habt Ihr eine Reliquie erworben?«
    »Nein, Pater Leonhard. Obwohl ich anfangs daran dachte. Aber dann hatten wir eine bessere Idee. Bertram!«
    Der Junge trat vor und stellte die verhüllte Figur auf den Tisch. Vorsichtig entfernte er das Tuch, und Almut sah, dass er die Marienstatue beinahe vollendet hatte. Sie war nun auf das Feinste poliert, seidig schimmerte der Faltenwurf ihres Gewandes, wie durchsichtig floss der Schleier um ihr Haupt, und das Kind auf ihrem Arm schmiegte sich in tiefstem Vertrauen an sie.
    »Das Werk eines kindischen Tölpels wollt Ihr in diesen kostbaren Schrein stellen?«, wollte Pater Leonhard empört wissen. Er trat jetzt energischer vor und nahm mit festem Griff die Statue in die Hand. »Gotteslästerlicher Narr!«, herrschte er den jungen Künstler an, und Bertram schreckte zurück. »Wie kannst du es wagen, eine solche Kreatur mit den Attributen der Gottesmutter darzustellen. Sie war ein Mensch, und sie hatte ein Antlitz.«
    »Sie wird eines haben, Pater Leonhard. Beleidigt einen solch begabten Holzschnitzer nicht, solange Ihr nicht die Gründe für sein Handeln versteht!«, fauchte Almut den Priester an. »Stellt sofort die Figur wieder auf den Tisch.«
    »Wie sprecht Ihr mit mir? Wie wagt Ihr es, diese Missgeburt in Schutz zu nehmen?«
    »Meint Ihr mit Missgeburt Maria oder Bertram, Pater?«
    Pater Leonhard lief dunkelrot an, und bevor er seiner Empörung Luft machen konnte, hatte Magda ihm mit beherztem Zugreifen das Schnitzwerk aus der Hand genommen.
    »Almut, mäßige dich. Pater Leonhard, Ihr habt kein Recht, Kritik an den Werken zu üben, die ich für meinen Konvent bestellt habe. Bertram, erkläre, warum die Jungfrau Maria für dich kein Gesicht hat.«
    »Sie hat so viele Gesichter, Frau Meisterin. Ich konnte mich noch nicht für eines entscheiden. Aber ich fühle, es wird bald so weit

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