Die elfte Jungfrau
Fläschchen einer dunklen Tinktur über ihn.
»Gut gemacht, Almut«, brummte sie und goss die Flüssigkeit in Bertrams halb offenen Mund. Der würgte, spuckte, schluckte aber einen Gutteil davon hinunter. Dann endeten die Krämpfe. Seine Augen glitten wieder in ihre normale Position, seine Gliedmaßen wurden schwer, sein Atem ging wieder regelmäßig. Seltsamerweise hielt sein Blick Almuts Gesicht fest, und seine zerbissenen Lippen stammelten: »Verzeiht.«
»Es ist gut, Bertram. Schlaf jetzt.«
Er schloss gehorsam die Augen, aber sie meinte, ihn noch flüstern zu hören: »Jetzt hat sie ein Gesicht.«
»Armer Junge. Pitter, lauf zu Lena hinüber, sie soll sein Lager richten.«
»Ja, Frau Almut.«
»Gebt mir bitte etwas zu trinken.«
»Hier, Almut.«
Magda reichte ihr einen Becher Apfelwein. Das Schlucken tat ihr weh, aber die kühle Flüssigkeit linderte den Schmerz ein wenig. Sie strich sich die Haare zurück und sah sich im Refektorium um. Claas war aufgestanden und zog sein Wams zurecht, Florens kam mit bleichem Gesicht auf sie zu und reichte ihr die Hand, um ihr aufzuhelfen. Als sie schwankend zum Stehen kam, hielt er sie fürsorglich fest. Clara, Rigmundis und Schwester Ermentrude umklammerten einander noch immer angstvoll. Magda war mit Bela nach draußen gegangen, und sie hörte ihre Stimme auf dem Hof Befehle erteilen. Pater Leonhard aber lehnte mit grauweißem Gesicht an der Wand und atmete, als habe er einen halsbrecherischen Lauf hinter sich.
»Teufelsbalg! Gottloser Narr! Besessenes Ungeheuer!«, keuchte er.
Almut rechnete es dem Schreinemaker hoch an, dass er den Pater mit starker Hand nach draußen geleitete. Ihre Wut auf ihn hätte sie ansonsten zu einigen besonders ätzenden Bemerkungen verleitet.
Mettel und Bela kamen mit einer der Planken ins Refektorium und hoben den Kranken sachkundig darauf. Krankenpflege und Totenaufbahrungen hatte ihnen hierbei das nötige Geschick verliehen. Die anderen Beginen und die Nonne halfen ihnen.
Als sie mit Bertram das Haus verlassen hatten, war Almut alleine mit dem jungen Parler, der sie noch immer in seinen Armen hielt. Vorsichtig machte sie sich los.
»Danke, Florens. Es geht wieder.«
»Mein Gott, Frau Almut, was wollte der Junge von Euch? So etwas habe ich ja noch nie erlebt. Er hat Euch gewürgt. Ihr habt lauter rote Flecken am Hals.«
»Er ist krank. Es sind Krämpfe, die ihn manchmal packen. Er hatte keine böse Absicht.«
»Das sah aber ganz anders aus.«
»Ich habe es schon mehrfach erlebt. Es war meine Schuld, ich trat ihm in den Weg.«
»Er hätte Euch das Genick brechen können!«
»Nein, Florens, nein. Nun lasst es gut sein. Er ist zu bedauern, sonst nichts. Lasst uns nachsehen, ob etwas zu Bruch gegangen ist. Es wäre schade um das Schnitzwerk.«
Es war aber alles unversehrt geblieben. Vorsichtig hüllte sie die von Bertram geschnitzte Figur wieder in ihr Tuch und nahm ihre Marienstatue an sich.
»Verzeiht, Florens, wenn ich heute mit den Fenstern nicht weitermache. Ich will mich um den Kranken...«
»Ihr solltet für Euch selbst sorgen, Frau Almut. Ihr habt sicher Schmerzen von dem Sturz, und Euer Hals wird Euch wehtun.«
»Darum wird Elsa sich gleich kümmern.«
Der junge Parler stand noch immer etwas verlegen vor ihr und schaute sie unverwandt an. Endlich wurde Almut sich ihrer wirren, aufgelösten Haare bewusst, und sie bückte sich nach dem Tuch.
»Ich sehe aus wie eine Sturmfee.«
»Ihr seht wundervoll aus, Frau Almut. Ich dachte, Ihr müsstet Eure Haare abschneiden als Begine.«
»Manche tun es, aber... ich bin leider etwas eitel.«
»Es ist Euch eine Zierde!«, flüsterte Florens und strich sacht über eine der lockigen Strähnen.
»Schon, aber auch eine Last. Ich werde mich auch darum jetzt kümmern!«
Ihr kühler Tonfall schien den jungen Mann wieder auf den Boden der Wirklichkeit zu holen, und mit einer höflichen Verbeugung verabschiedete er sich von ihr.
Kaum hatte er das Refektorium verlassen, kam Claas hinein und blieb mit einem bewundernden Ausdruck im Gesicht vor ihr stehen.
»Welche Pracht Ihr unter dem grauen Schleier versteckt, Frau Almut. Schöner glänzt auch poliertes Kastanienholz nicht.«
»Schürt meine Eitelkeit nicht weiter, Schreinemaker. Hat man Bertram zu Eurer Schwester geschafft?«
»Ja, und die Apothekerin ist bei ihm. Frau Almut, das war ein schlimmes Erlebnis.«
»Ja, ja, ja. Aber das ist nicht der erste Anfall, den ich miterlebe. Habt Ihr nicht gesehen, er wusste, was auf ihn
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